Uwe Knüpfer
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Perot-Anhänger sind sauer und wütend - Clinton profitiert vom Rückzug des Milliardärs aus dem Präsidentschaftswahlkampf - Parteitag der Demokraten mit Clinton-Rede beendet




17/7/1992

 



"Betrug", "Er sollte sich schämen", "Ich dachte, er hätte mehr Mumm" - Die Heerscharen von Perot-Aktivisten überall in den USA vernahmen am Donnerstag per TV die Nachricht vom Rückzug ihres Idols aus dem Wahlkampf um das Weiße Haus und waren geschockt. Nun sind wie üblich nur noch zwei Bewerber im Rennen. Präsident Bush und sein Herausforderer Clinton umwarben flugs die Enttäuschten.
Im Februar hatte der Milliardär Ross Perot in einer Fernsehtalkshow beiläufig versprochen: "Wenn die Wähler meinen Namen in allen 50 Staaten der USA auf den Wahlzettel bringen, trete ich an." Einen "Weltklassewahlkampf" werde er dann hinlegen, und wenn ihn das hundert Mio Dollar oder mehr kosten würde. In den Tagen und Wochen darauf klingelten die Telefone im Perot-Hauptquartier in Dallas ununterbrochen.
öberall im Lande bildeten sich Perot-Komitees. Millionen von Unterschriften wurden gesammelt. Die etablierten Parteien - Republikaner und Demokraten - begannen zu zittern, die Experten zu staunen. Es dauerte nicht lange, und Perot führte in den Umfragen vor Bush und weit vor Clinton.
Jetzt ist der Zauber vorüber. Genauso plötzlich, wie er begonnen hat. Eine nüchterne Pressekonferenz in Dallas, und aus ist der Traum. Der Traum, ein gestandener Geschäftsmann, einer, der Klartext redet, könnte "denen in Washington" zeigen, wie man Probleme wirklich löst. Dabei hatten die Perotisten gerade richtig losgelegt, Buttons geprägt, T-Shirts bedruckt.
Perot schickte seine Mitarbeiter an die Fernsehfront, die Enttäuschten zu trösten. Viele wollten es nicht glauben und hoffen, Perot noch umstimmen zu können. Andere kündigten trotzig an, auch ohne Perot weitermachen zu wollen - um als Wählerblock den anderen Kandidaten Zugeständnisse abzuringen. Doch die meisten waren schlicht sauer und wütend.
Matthew Lifflander, Leiter des "People for Perot"-Büros in New York: "Ich fühle mich betrogen. Das ist einfach nicht fair. Was er getan hat, macht die ohnehin schon Enttäuschten noch enttäuschter." Jane Sawner aus New Rochelle sah dunkle Kräfte am Werk: "Das zeigt nur, man kommt gegen die da oben nicht an." Andere Perot-Anhänger vermuten einen noch unbekannten Grund hinter dem Rückzug ihres Idols. Drohungen vielleicht oder ein geheimes Geschäft.
Der Fernsehmoderator Tom Brokaw zitierte die alte Weisheit: "Wer US-Präsident werden will, muß bereit sein, zur Hauptverkehrszeit mitten auf der meistbefahrenen Kreuzung öffentlich ein Bad zu nehmen." Und er fügte hinzu: "Vielleicht wollte Perot nicht, daß die Wähler seinen kleinen, winzigen Körper zu Gesicht bekommen." Die US-Presse hatte während der letzten Wochen begonnen, die Vergangenheit des Milliardärs minutiös zu durchleuchten.
Perot hat nur gesagt, er könne nicht gewinnen. Jetzt, da die Demokraten auf ihrem Parteitag in New York zu neuem Leben erwacht seien.
Die Demokraten versuchten, daraus Honig zu saugen. Bill Clinton nannte die Perot-Aktivisten während seiner Rede, mit der er die Nominierung seiner Partei zum Präsidentschaftskandidaten offiziell annahm, "patriots for change", Patrioten, die Wandel im Sinn haben, und rief ihnen zu: "Kommt zu uns! Gemeinsam werden wir Amerika zu neuem Leben erwecken."
Präsident Bush unterbrach einen Angelurlaub, gab eine Pressekonferenz und zeigte sich seinerseits zuversichtlich, daß die meisten Perot-Anhänger sich am Ende bei ihm und seinen Republikaner "zuhause fühlen" werden. Jedenfalls die konservativen unter ihnen.
Clinton dagegen warb um alle Perot-Anhänger, nicht nur um die progressiven oder liberalen. Es müsse Schluß sein mit der Teilung und Spaltung des Landes, mit Schuldzuweisungen an jeweils andere, "an sie, die Liberalen, an sie, die Obdachlosen, an sie, die Armen, an sie, die Schwulen", war seine Botschaft an das Wahlvolk: "Es gibt nur ein Wir, Wir in Amerika."
Die Demokraten zogen zum Schluß ihrer Zusammenkunft in New York alle Register moderner Medienarbeit, um die Nation zu überzeugen: Bill Clinton ist kein "Slick Willie". Seine Mutter, Bilder seiner Jugend in einem Nest namens Hope, Bekenntnisse seines einst drogensüchtigen Halbbruders - alles mußte herhalten, um zu zeigen: Dieser Bill Clinton ist ein richtiger Mensch aus Fleisch und Blut, kein Politiker aus der Retorte, er ist einer, der sich kümmert. Ein Gospel-Chor sang: "Yes, there is Hope" - Ja, es gibt Hoffnung. Die Kandidaten tanzten auf der Bühne mit ihren Frauen, die Delegierten schunkelten, 60000 Luftballons schwebten vom Himmel der Halle.
Vor vier Jahren hatte Bill Clinton auf dem demokratischen Nominierungsparteitag für den damaligen Kandidaten Dukakis eine 32minütige, allgemein als langweilig empfundene Rede gehalten. Applaus kam erst auf, als der Redner versprach, er komme zum Schluß. Diesmal begann Clinton mit der Bemerkung, er sei nur nach New York gekommen, um die Rede von damals zu vollenden. Danach sprach er fast eine Stunde lang. Nur: Diesmal war ihm der Applaus sicher.
Ersten Umfragen zufolge hat Clinton erreicht, was das Ziel der viertägigen Polit-Oper im Madison Square Garden war: sich erneut bekannt zu machen, sich den Wählern als Kandidat der Versöhnung und des Wandels zu präsentieren. In einer CNN-Umfrage machte er in der Wählergunst einen gewaltigen Sprung nach vorne: von knapp 30 auf 56 vH. Nur 33 vh der Befragten gaben an, sie würden Bush wählen, wäre jetzt Wahltag. Nach einer anderen Umfrage (der Fernsehanstalt ABC) ist der Abstand noch größer: Clinton 58 vH, Bush 29 vH.
Vor vier Jahren führte Kandidat Dukakis zu diesem Zeitpunkt mit 17 Prozentpunkten vor Bush. Im November hieß der Sieger Bush.

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