Im Kampf gegen die explodierenden Gesundheitskosten greifen immer mehr Einzelstaaten der USA reumütig auf alte Rezepte zurück. Sie verabschieden Gesetze und installieren Behörden, legen staatliche Gesundheitspläne auf. Die Erkenntnis greift um sich: In Wartezimmern und auf Operationstischen versagt die freie Marktwirtschaft.
Die USA leisten sich das teuerste - und womöglich auch das beste - Gesundheitssystem der Welt. Nicht erst seit heute. Seit mehr als zwanzig Jahren steigen die Kosten für Medikamente, medizinische Geräte, Krankenhäuser und érzte stärker als die allgemeinen Lebenshaltungskosten. Mit dem Effekt, daß in wirtschaftlichen Krisenzeiten wie jetzt die Zahl derer rapide steigt, die sich eine angemessene Behandlung nicht mehr leisten können. Denn Versicherungsschutz genießt nur,
- wer das Glück hat, bei einem großen Unternehmen beschäftigt zu sein, das seinen Mitarbeitern eine Art Betriebskrankenkasse gönnt,
- wer genug verdient, sich - teuer - privat zu versichern, oder
- wer arbeitslos oder sehr arm und alt ist; ihm helfen Medicare und Medicaid, staatliche Gesundheitsprogramme für die sozial schwächsten der Gesellschaft, öberbleibsel des in den sechziger Jahren gestarteten "Kriegs gegen die Armut" im Lande.
Eine wachsende Zahl von Amerikanern zählt zu keiner dieser Gruppen. Die amerikanische Middle-class-Durchschnittsfamilie ist ruiniert, wenn einer von ihnen ernsthaft krank wird und für Zehntausende von Dollars operiert werden muß.
Ronald Reagan und George Bush sind 1981 angetreten, den Kostenrausch der Medizinindustrie zu beenden. Sie demontierten die Gesundheitsbürokratie, schlugen Schneisen in das gewachsene Netz staatlicher und kommunaler Behörden, die bis dato Pläne entwarfen, wo wieviele Krankenhausbetten welcher Güte benötigt würden.
Die republikanischen Politiker, die soeben Jimmy Carter und dessen Demokraten aus dem Weißen Haus vertrieben hatten, rechneten der Nation vor, daß allein der aufgeblähte Planungsapparat jährlich rund 150 Mio Dollar kostete. Dollars, die man sparen könnte. Der Apparat wurde zerschlagen, an seine Stelle trat der freie Markt.
"Wir dachten, daß auch das Gesundheitswesen auf den Prinzipien von Angebot und Nachfrage aufbaut," blickt David Brickley zurück, Abgeordneter im Parlament von Virginia, "wir dachten, wenn mehr medizinische Geräte verfügbar sind, müßten die Preise für deren Benutzung fallen." Verblüffenderweise geschah das Gegenteil. Brickley: "Heute haben wir mehr Geräte als je zuvor, sie sind nicht ausgelastet, und die Kosten sind höher denn je."
Als Reagan die 150 Millionen Dollar Bürokratenkosten sparen wollte, kostete das US-Gesundheitswesen pro Jahr 290 Milliarden Dollar. Zehn republikanische Regierungsjahre später waren es 738 Mrd Dollar. 1992 werden die Kosten nach Regierungs-Schätzungen auf ca. 817 Mrd Dollar klettern. Das wäre ein Anstieg in Jahresfrist um elf vH, um mehr als das doppelte der Inflationsrate.
Während das Weiße Haus unter George Bush nach wie vor nicht daran denkt, zu Planungsmethoden von gestern zurückzukehren, vollziehen immer mehr Einzelstaaten im Alleingang eine Kehrtwende. In Virginia brauchen Krankenhäuser, die Computertomographen oder Nierensteinzertrümmerer anschaffen wollen, neuerdings wieder eine staatliche Genehmigung. Binnen nur zweier Jahre ohne staatliche Aufsicht hatte sich die Zahl solch teurer High-Tech-Apparaturen in den Hospitälern des Staates rundweg verdoppelt.
New Jersey hat die Kosten für Investitionen in Krankenhäusern limitiert; mehr als 225 Mio Dollar pro Jahr dürfen dafür im ganzen Staat nicht ausgegeben werden. Der Gouverneur von Kentucky hat einen einjährigen Ausgabenstopp für Neuanschaffungen verfügt. Während dieser Zeit soll ein Gesundheitsplan ausgearbeitet werden. In Georgia brauchen Krankenhäuser, die Geräte mit einem Wert von mehr als 500000 Dollar anschaffen wollen, wieder eine Notwendigkeitsbescheinigung der staaatlichen Gesundheitsplanungsbehörde.˙ Und der Gouverneur von Colorado, Roy Romer, gestand vor seinem Landesparlament rundweg ein: "1987 haben wir auf Notwendigkeitsbescheinigungen für medizinische Investitionen verzichtet. Ich denke, das war ein Fehler."
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