Es ist geheim und trägt den Stempel "NOFORN" - nicht für Ausländer bestimmt. Das US-Verteidigungsministerium hat ein neues, diesmal verbindliches Planungspapier für die Zukunft der US-Militärmacht erstellt, vertraulich. Am Sonntag war es in der Zeitung zu lesen.
Im März wurde ein Entwurf dieses Strategiepapiers bekannt. Es sorgte für kräftigen érger, zuhause, aber vor allem im Ausland, bei den Verbündeten.
Denn darin stand: Das vorrangige Ziel der US-Verteidigungspolitik müsse es jetzt sein, nach dem Ende des Kalten Krieges, das Entstehen einer neuen Supermacht zu verhindern. Amerika, so las sich das Papier, will künftig keine Konkurrenz mehr dulden auf den denkbaren Schlachtfeldern der Welt.
Und was in Bonn und Tokio besonders sauer aufstieß: Als mögliche, kleinzuhaltende Konkurrenten wurden neben Rußland Deutschland und Japan genannt. So kann man mit Verbündeten nicht umgehen, klang es durch die diplomatischen Kanäle erbost nach Washington zurück.
In den USA selbst wurde das Pentagon-Papier im wesentlichen als Versuch angesehen, mit allen Mitteln drastischere Einschnitte in das Verteidigungsbudget abzuwehren. Rasch wurde es vom Pentagon zum Produkt untergeordneter Mitarbeiter heruntergespielt.
Das war es mitnichten, weiß man jetzt. Es entstand unter der Federführung des stellvertretenden Ministers Paul Wolfowitz. Ebenso wie die jetzt endgültige Fassung. Sie trägt die Unterschrift des Verteidigungsminsters, Richard Cheney.
Von Hegemoniebestrebungen Deutschlands oder Japans ist in den "Leitlinien zur Verteidigungsplanung" für die Jahre 1994-99 nun nicht mehr die Rede. Oberstes Ziel ist es jetzt, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Bündnissystem zu erhalten und auszubauen. Dem entspricht eine offenere Haltung gegenüber neuen, ergänzenden Bündnissen oder einer Weltpolizeitruppe unter Führung der Vereinten Nationen.
Die sich bildende "Sicherheitsarchitektur" Europas, bestehend aus einem "Netzwerk miteinander verbundener Institutionen", wird ausdrücklich begrüßt. Dabei sei es aber "von fundamentaler Bedeutung", die Rolle der Nato und ihre integrierten Kommandostrukturen zu erhalten. Wörtlich: "Wenn wir und andere führende Demokratien darin fortfahren, eine demokratische Sicherheitsgemeinschaft zu bilden, kann die Welt um vieles sicherer werden. Wenn wir getrennt handeln, könnten viele neue Probleme entstehen."
Es sei wichtig, heißt es in dem Planungspapier, internationale Organisationen wie die Uno so zu stärken, daß sie in der Lage sind, kriegerische Konflikte beizulegen. In der im März bekanntgewordenen Fassung kam die Uno gar nicht erst vor. Jetzt heißt es gar, kollektive Lösungen regionaler Streitigkeiten seien einer Weltpolizeirolle der USA vorzuziehen. Weiter: "Wo die Interessen von Verbündeten direkt berührt sind, erwarten wir, daß sie (die Verbündeten) einen angemessenen Anteil an der Verantwortung tragen und manchmal auch die führende Rolle spielen."˙ Das heißt in den Augen der Pentagon-Führung aber nicht, die USA könnten nun bei der Verteidigung sparen. Im Gegenteil, auch kollektive Sicherheitssysteme funktionieren in ihren Augen nur, wenn eine entschlossene Macht existiert, um die herum andere sich gruppieren können. Die USA müßten stets so stark bleiben, daß sie zur Not auch aus eigenen Kräften weltweit eingreifen können. Und auf gar keinen Fall dürften sie ihre ureigenen Sicherheitsinteressen in die Hände übernationaler Organisationen legen.
Die Verteidigungsleitlinien sind ein Planungspapier eigentlich nur für den Hausgebrauch des Pentagon. Sie werden alle zwei Jahre überarbeitet. In diesem Jahr fand, was bisher ein Routinevorgang war, besondere Beachtung. Schließlich hat sich die weltstrategische Landschaft zum ersten Mal seit Jahrzehnten grundlegend verändert. Welche Schlüsse ziehen unsere Militärs daraus, fragt sich die amerikanische ôffentlichkeit. Entsprechend groß war das Interesse an dem früh durch Indiskretionen bekanntgewordenen Papier.
Wenn die Welt uns schon zusieht, wie wir uns Gedanken machen, mag sich die Pentagon-Führung gesagt haben, dann wollen wir auch, daß sie unsere Lernprozesse zur Kenntnis nimmt. Also war sie diesmal selber indiskret.
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