"Ich bin nach Amerika gekommen, weil dies doch das Land ist, wo sich Leistung lohnt," weinte ein koreanischer Geschäftsmann in die Kameras. Sein Geschäft war in Flammen aufgegangen während der Unruhen von Los Angeles, die dem Freispruch für vier weiße Polizisten folgten, die einen schwarzen Verkehrssünder blutig geprügelt hatten.
Jener Teil der Millionenstadt am Pazifik, wo die USA drei Tage lang die schlimmsten Straßenschlachten ihrer Geschichte erlebten, galt bislang als Muster eines Schmelztiegels; Schwarze, Weiße, Hispanos, Koreaner leben hier Block an Block. Nur: die meisten Geschäfte gehören den Koreanern, die meisten Armen sind schwarz.
Die koreanische Geschäftswelt von Los Angeles fragt: Wer kommt für die Schäden auf? Das ist nur eine der offenen Fragen, die Amerika jetzt quälen.
Wie konnte es dazu kommen, fragen sich Politiker, fragen sich die Menschen auf den Straßen, fragen Fernsehmoderatoren. Die Polizei hätte früher und härter eingreifen müssen, antworten die einen. Lauter ist, jedenfalls derzeit, der Chor derjenigen, die nach den Ursachen der Kriminalität fragen, die losgebrochen ist in den Stunden nach dem überraschenden Freispruch.
Präsident Bush empfing Sprecher der Bürgerrechtsbewegungen im Weißen Haus. Die trugen ihm das vor, was sie schon immer wußten: daß in den USA zuwenig für die érmsten der Armen getan wird, daß in den großen Städten ganze Stadtteile in Dreck, Elend und Gewalt verkommen, daß amerikanische Schulen einen erstaunlich hohen Prozentsatz an Analphabeten produzieren - während der Staat wegsieht. Neu war: Der Präsident hörte zu.
Bush kam schließlich auch den Rufen nach, sich persönlich der Ereignisse von Kalifornien anzunehmen. Wie zu Zeiten des Golfkriegs wandte er sich via Fernsehen an die Nation. (Er selbst, sagt Bush, sei auch, wie die allermeisten seiner Landsleute, erregt und verärgert gewesen über den Freispruch. Tief getroffen hätten ihn aber auch die Bilder von unschuldigen Bürgern, die in den Tagen und Nächten danach Opfer krimineller Schläger wurden.) Im wesentlichen faßte Bush zusammen, was jetzt fast alle sagten, Konkretes blieb aus. Mit einer Ausnahme: Er stellte Bundestruppen bereit, die aber nicht mehr abgerufen wurden.
Selbst 1965 und 1967, auf dem Höhepunkt der Rassenunruhen, kamen bei Straßenschlachten binnen einer Woche nicht soviele Menschen um wie in der letzten Woche in Los Angeles. 44 Tote wurden gezählt - 43 starben im Juli 1967 in Detroit. Dennoch, stellte die Nation erleichtert fest: So wie damals ist es nicht. Zwar flackerte überall im Land Protest auf gegen das als skandalös empfundene Urteil einer weißen Jury, die Feuersbrünste aber blieben auf Los Angeles beschränkt. Eine überwältigende Mehrheit auch der schwarzen Bevölkerung verurteilte Umfragen zufolge die Gewalttaten entschieden.
Zudem war für jedermann am Bildschirm zu sehen: Auch Weiße haben geplündert. Es herrschte Anarchie in einem Teil von Los Angeles. Da nahm sich jeder, was er kriegen konnte. Polizeichef Gates, der seine Beamten zuerst zurückgehalten hatte, dann aber hart durchgreifen ließ, werden jetzt sogar Chancen bei der nächsten Bürgermeisterwahl eingeräumt. Gates ist landesweit bekannt als "Law-and-Order-Mann", die Polizei von Los Angeles stand im Ruf, sich mit einem Minimum an Personal ein Mximum an Respekt verschaffen zu können. Wie, das demonstierte der Videofilm von Beamten, die auf den wehrlosen Rodney King einknüppelten. Gates muß deshalb im Sommer vorzeitig seinen Dienst quittieren.
(King, der während des Prozesse gegen die Polizisten geschwiegen hatte, meldete sich am dritten Tag der Unruhen zu Wort: "Ich bin neutral. ich liebe jedermann." Er könne zwar verstehen, was in den ersten Stunden nach dem Urteil geschah, aber jetzt müsse Schluß sein.)
Auch der Präsident scheint neuerdings daran zu zweifeln, daß die Ursachen des Gewaltausbruchs von Kalifornien mit Schlagstöcken zu beseitigen sind. "Wir müssen weiter daran arbeiten, ein Klima von Verständnis und Toleranz zu schaffen, ein Klima, in dem Rassismus, Bigotterie, Antisemitismus und Haß nirgendwo eine Chance haben," sagte Bush. Sein Wohnungs- und Städtebauminister, ein weithin unbekannter Mann namens Jack Kemp, weiß auch wie. "Wir müssen endlich zur Kenntnis nehmen," meldete er sich nach der Bush-Rede zu Wort, "daß in unseren Innenstädten allzu viele Menschen in völliger Chancenlosigkeit aufwachsen." Die Unruhen nannte er einen "Hilferuf" nach staatlichen Programmen.
Das klingt schrill in den Ohren konservativer Republikaner. Unter den republikanischen Präsidenten Reagan und Bush wurden die staatlichen Zuwendungen für Sozial- und Bauprogramme rigoros beschnitten. Weniger Staat, hieß ihr Schlachtruf, heiße mehr Freiraum für den unternehmerischen Einzelnen, und das bedeute: Mehr Wohlstand und Glück für alle. Im Feuer von Los Angeles sind nicht nur Schaufenster und Existenzen zu Bruch gegangen, sondern auch Illusionen.
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