Mathematisch gesehen war das jetzt zu Ende gehende Jahr das letzte des 20. Jahrhunderts. Im Alltag setzte sich diese Einsicht nicht durch. Vielleicht war die Freude der Menschheit auf Neues einfach zu groß.
Und schließlich: war nicht Aufbruch überall?
Deutschlands noch immer recht neue Regierung schien sich endlich gefangen zu haben - dank kräftiger Schützenhilfe der Opposition. Der CDU-Spendenskandal, der Sturz Helmut Kohls vom Sockel des allseits bewunderten Staatsmanns: die Union als Denver Clan. Darob gefiel Gerhard Schröder sich und anderen in der Kanzlerrolle immer besser.
Aufbruch auch draußen. Der Balkan war endlich halbwegs befriedet, der Krieg ums Kosovo fast schon vergessen. EU-Europa schien auf dem Weg zu innerer Harmonie und neuer Größe im Zeichen des Euro.
In Russland stand der zu Silvester ins Amt gehobene Präsident Putin für einen frischen Start seines Landes in Richtung Markt und westlicher Werte. Auch die USA rüsteten sich, einen neuen Präsidenten zu wählen. Im Nahen Osten schien endlich ein dauerhafter Frieden zwischen Israel und allen seinen Nachbarn greifbar zu sein.
Nicht zuletzt: täglich mehrfach verkündeten Nachrichtensprecher den scheinbar unaufhaltsamen Anstieg der Börsenkurse. Analysten verkündeten die Geltung angeblich neuer Gesetze der Ökonomie.
Dann begann 2000 das Jahr der milden Enttäuschungen und herben Rückschläge.
Die new economy sah plötzlich ziemlich alt aus.
Die Nahost-Friedensgespräche von Camp David gingen im Sommer ohne Ergebnis zu Ende. Am Jordan wurde wieder gebombt und geschossen. Das passte zur Katastrophe von Kaprun, zum Absturz der Concorde, zum Tod in der Kursk.
Putins Ernennung wurde zwar vom Wahlvolk bestätigt, doch unter dubiosen Umständen. Moskau schien eher hinter den Ural zu rücken denn weiter gen Westen.
Der Euro, noch immer nicht greifbar, verlor stetig an Wert, gemessen am Dollar. Darüber freute sich zwar Europas exportabhängige Wirtschaft, aber auch das große Lager der Euroskeptiker, nicht nur auf den britischen Inseln.
Auch mit den Reformen der Europäischen Union ging es nur knirschend voran. Der Gipfel von Nizza am Ende des Jahres führte, das war das Beste an ihm, drastisch vor Augen, dass Europa jetzt dringend benötigt, was Bundespräsident Herzog einstens Deutschland verordnet hat: einen kräftigen Ruck.
Immerhin: der Balkan blieb ruhig.
Die Krise der Union bescherte der SPD ein Ende ihrer Wahlniederlagen in den Ländern und, vor allem, den Machterhalt an Rhein und Ruhr. Doch die Berliner Koalition, statt den guten Wind zu nutzen, manövrierte sich stockend durch Rentenreform, Ökosteuerkrise und BSE-Skandal; ohne Eleganz und ohne Vision.
Andererseits: sie kam damit durch. Mehr hat das Volk wohl nicht erwartet. Zumal die Union keine strahlenden Alternativen zu bieten verstand, weder inhaltlich noch personell.
Selbst die US-Amerikaner verblüfften durch Pannen. Sie wirkten außerstande, einen neuen Präsidenten zu wählen. Das gelang nur mit Hilfe der Gerichte, mehr schlecht als recht.
So scheinen die Mathematiker eben doch Recht behalten zu haben.
2000 war nicht das Jahr des großen Neubeginns. Vielleicht sollten wir es schnell - nein, nicht vergessen -, aber ablegen, als Versuch im Unreinen, und versuchen, es besser zu machen, im wahrhaft ersten Jahr des dritten Jahrtausends.