Uwe Knüpfer
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Leitartikel zum Simpson-Urteil

4/10/1995

 
Man kann den Simpson-Prozeß ein Spektakel schimpfen und sich über die Medien wundern. Man kann den Schluß ziehen, Fernsehkameras hätten im Gerichtssaal nichts zu suchen.

Wer will, kann den Kopf schütteln über die Bereitschaft der Amerikaner, einen Mordprozeß zur Staatsaffäre des Jahrhunderts aufzublasen.

Alles richtig. Aber so ganz nebenbei - und von niemandem erhofft - hat der Prozeß Nebenwirkungen gehabt. Ein Graben zwischen den Rassen ist sichtbar geworden. In ihrer Reaktion auf Simpsons Freispruch ist die amerikanische Gesellschaft tief gespalten, und zwar entlang der Rassengrenze. Schwarze jubeln, Weiße sind enttäuscht, gar verärgert.

Viele schwarze Amerikaner, die sich bisher als wehr- und  rechtlose Opfer einer Rassenjustiz empfanden, äußern plötzlich Vertrauen in das Funktionieren der US-Justiz. Obwohl auch sie genau wissen: O.J.; der Football- und Hollywoodstar, wurde vom Vorwurf des Doppelmordes freigesprochen, weil er sich die teuersten Anwälte des Landes leisten konnte und den Aufgalopp Dutzender von Experten. Normale US-Strafprozesse sind nach zwei Wochen zuende. Dieser dauerte ein ganzes Jahr.

Auf der anderen Seite sehen sich viele Weiße in dem Eindruck bestätigt, von Schwarzen umzingelt zu sein. Von lauter Minderheiten, die vermeintlich mehr Rechte haben als sie. Manche dieser Weißen sind Fanatiker, die glauben, für die Rechte des "Weißen Mannes" kämpfen zu müssen.

Im April explodierte eine Bombe in Oklahoma, richtete ein Blutbad an. Die mutmaßlichen Täter stammen aus einem Umfeld, in dem es gang und gäbe ist, zum bewaffneten Kampf gegen "das System" zu rufen; gegen Washington, gegen die Idee der multikulturellen Gesellschaft, gegen den vermeintlichen Verfall westlicher Werte.

Zu befürchten ist, daß der Freispruch von Los Angeles solchen Fanatikern zusätzlichen Auftrieb gibt und weiteren Zulauf verschafft.

Fanatiker irritiert es nicht, daß Simpson, wäre er weiß, womöglich genauso freigesprochen worden wäre.

Traditionell verurteilen Juries in den USA Schwarze schneller als Weiße, und zu härteren Strafen. Und weiße Geschworene neigen dazu, weiße Angeklagte eher freizusprechen als Farbige. Daß nun eine überwiegend aus Schwarzen zusammengesetzte Jury einen schwarzen Angeklagten freigesprochen hat, ist in den Augen vieler Schwarzer ein Akt höherer Gerechtigkeit.

Für sie ging es nicht um O.J., sondern um "Uns" gegen "Die".

Verstehen kann man das womöglich nur, wenn man nicht voraussetzt, in Strafprozessen gehe es um die Suche nach Gerechtigkeit. Sondern darum zu gewinnen. Jeder Amerikaner weiß: Um Recht zu bekommmen, muß man nicht Recht haben, sondern Geld und einen guten Anwalt.

Jetzt gibt es offenkundig auch Schwarze, die sich gute Advokaten leisten können. Ist das kein Fortschritt?

Offiziell herrscht in den USA seit langem keine Rassentrennung mehr. Alle Berufe stehen Schwarzen offen. Die Lynchjustiz des Ku-Klux-Klan ist Geschichte. Aber einen Schwarzen, der durch ein "weißes" Wohngebiet fährt, verfolgen viele Augenpaare. Die Polizei in Großstädten wie Los Angeles ist notorisch bekannt dafür, mit schwarzen Verdächtigen wenig zimperlich zu sein. Polizisten halten dagegen: Die meisten Verbrecher, die sie kennen, seien schwarz und brutal und unberechenbar. Und die Regeln der "Political correctness" verböten es ihnen, die Wahrheit zu sagen.

So blüht Rassismus im Halbschatten, auf beiden Seiten. Der Prozeß um Simpson brachte ihn ins Licht. Wer will, mag darin Gutes sehen.

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