Erhard Eppler hat das gesagt, als seine Partei, die SPD, darüber stritt, von wo aus Deutschland künftig regiert werden soll, Berlin oder Bonn. Eppler war für Berlin. Weil dort Geschichte lebendig ist. In Bonn, das ist wahr, schreien die Steine nicht, aber wie soll man es nennen, was das Bonner Brückenmännchen macht?
Es ist nicht auf den ersten Blick zu sehen, kein Schild weist den Weg dorthin, aber die Bonner haben nichts dagegen, wenn man es trotzdem findet. Für diesen Zweck, vermutlich, haben sie den Rheinuferweg angelegt. Dort kann man laufen, dort kann man Fahrrad fahren, nur mit dem Auto kommt man nicht hin, von wenigen Stellen abgesehen. Fast nebenbei ist der Rheinuferweg ganz zweifellos einer der schönsten Radwege Deutschlands. Wer will, kann ihm entlang bis Koblenz strampeln. Oder auch nur bis Mehlem oder Oberwinter. Das sind dann zwischen acht und 15 Kilometern (eine Strecke).
Vom Hauptbahnhof zum Brückenmännchen sind es nur ein paar hundert Meter. Immer Richtung Beuel. Der Weg nach Beuel, heute ein Stadtteil von Bonn, früher die bescheidene Schwester "op de schäl Sick", führt über den Rhein. über eine Brücke, die zu ihrer Entstehungszeit - 1898 - als beispielhaft modern galt. Was aber nicht der Grund dafür war, daß die Bonner ihr an die Unterseite das Brückenmännchen geklebt haben. Das machten sie, weil sie die Brücke ganz allein bezahlen mußten. Die Beueler weigerten sich strikt, einen Teil der Kosten zu tragen. Also befestigten die Bonner auf ihrer Seite, unten am Brückenpfosten am Rhein, ein gebücktes Männlein mit entblößtem Hinterteil. Das streckte es den Beuelern entgegen. Das ist die Bonner Art, Rache zu nehmen.
Heute zeigt das Hinterteil übrigens nicht mehr Richtung Beuel. Schließlich beleidigt man nicht seine eigenen Mitbürger. Seit 1949 streckt das Brückenmännchen seine vier Buchstaben merkwürdig schräg nach Südsüdost. Doch das hängt mit einem anderen Streit zusammen.
(Wenn man schon am Brückenmännchen steht, lohnt es sich, ein paar Schritte rheinabwärts zu tun, Richtung Köln also. Dort finden sich Mauerreste, ungewöhnlich für Bonn, wo man gerne gründlich aufräumt. Es sind Reste der alten Synagoge. Es bedurfte geharnischter Proteste, sie zu erhalten. Da wo einst das jüdische Gotteshaus stand, befindet sich jetzt das Parkdeck eines Hotels.)
(Rheinaufwärts steht das Geburtshaus von Peter Josef Lenné. Der schuf die Gärten von Potsdam. Die Bonner haben ihm - dafür? - ein Denkmal errichtet, direkt am Rheinufer. Neuerdings ist es eingegittert. Manfred van Rey, der Stadtarchivar, beteuert, das habe nichts mit Lennés Engagement für die Residenz bei Berlin zu tun. Das Gitter solle die Büste vielmehr vor Treibgut schützen, wenn der Rhein Hochwasser führt.)
Vorbei am einstigen Preußischen Oberbergamt - von hier aus wurde das Ruhrgebiet unteridisch erschlossen, heute büffeln hier Geschichtsstudenten - und am Alten Zoll, kommt das Hotel Königshof ins Bild. An dessen Stelle stand früher das Hotel Royal, Bonns erste Adresse, Absteige gekrönter Häupter und gerühmter Köpfe. Es fiel wie fast die gesamte alte Bonner Innenstadt einem alliierten Bombenangriff zum Opfer; am 18. Oktober 1944.
Erhalten, weil schon vor der alten Stadt gelegen, blieb das Albertinum, Ausbildungsstätte der Erzdiözese Köln. (Warum nur gilt das Bistum Köln als das aufmüpfigste, freidenkendste der katholischen Christenheit, wo doch Bonn angeblich der Hort der Beharrlichkeit ist, erzkonservativ bis in die Fundamente? Rheinische Merkwürdigkeiten.)
Nur ein paar Meter sind es vom Albertinum zum Sitz der Lesegesellschaft von 1787. Quer durch die damaligen Stände hindurch traf man sich hier zur Lektüre freigeistiger Blätter, zwar vor den Toren der Stadt, aber immerhin.
Der Rheinpavillon schräg gegenüber ist ein Denkmal einer anderen Epoche, die man heuˆte gemeinhin eher mit Bonn verbindet. Er hat Nierenform und steht auf Stelzen, ein Monument der fünfziger Jahre. Heute sieht er wieder seltsam modern und mutig aus. Dort gibt es Sauerbraten.
Es folgt das Beethovengymnasium, neben der Universität Bonns traditionsreichste Bildungsanstalt. Dann das Ernst-Moritz-Arndt-Haus. Laut van Ray hat Arndt es sich im Stil eines vorpommerschen Landhauses errichten lassen. Außerdem - Gelehrte sind seltsam - sei Arndt regelmäßig im Rhein schwimmen gegangen, selbst im November noch. Solches sieht man heute selten, und wenn, dann nur im Sommer, und zehn km weiter rheinaufwärts, wo der Rhein Strand hat und stille Buchten und es nach Basilikum duftet und nach Holzkohlenfeuer.
Es beginnt der lange Komplex des Auswärtigen Amtes. Hier fängt das Regierungsviertel an. AA und Postministerium, 1953/54 errichtet, sind die einzigen echten frühen Hauptstadtbauten in Bonn. Mitte der fünfziger Jahre verbot der Bundestag der Regierung, in Bonn zu bauen. Motto: "Jede Mark für Bonn ist Verrat an Berlin." 1966 wurde der Baustopp allerdings aufgehoben, irgendwo mußte schließlich reˆgiert werden.
Es entstand der "Lange Eugen", das Abgeordnetenhaus neben dem Bundestag, schon von weitem unübersehbar. Nebenbei hält der Turm die Erinnerung wach an den langjährigen Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier. In Oberwinter, nahe am Rheinuferweg, liegt er beerdigt.
Erst in den achtziger Jahren entschloß sich die Bundesrepublik, baulich in Bonn so richˆtig etwas hermachen zu wolˆlen. In das Kernstück der neuen Hauptstadtplanung, den Plenarsaal, kann man vom Fahrradsattel aus hineinblicken - so wie die Abgeordneten werden hinausblicken können auf den Rhein. Wenn sie nicht gerade in Berlin sind.
Hinter Bundestag und Langem Eugen beginnt der Rheinauenpark. Es kann sein, daß er nicht ganz so groß ist wie der Central Park in New York. Seine Funktion aber ist ähnlich. An Sommersonntagen, wenn das Regierungsviertel ausgestorben ist, wimmelt es hier von Freizeitsportlern, und Sonnensuchern, Familien und Musikanten.
Hinter dem Rheinauenpark wird Bonn vornehm. Es beginnt das Bad Godesberger Villenviertel. Bevor sich hier Diplomaten niederließen, wußten Großbürger aus ganz Deutschland schon das milde Klima am Rhein zu schätzen; wie vor ihnen die Römer. Mancher versuchte sich die Gunst der Lage bis über den Tod hinaus zu sichern. Das Mausoleum der Famile Carstanjen, eine klassische Rotunde, könnte so auch an der Via Appia stehen oder bei einer venezianischen Villa. Der Zugang zum englischen Garten drumherum ist heute mit einem Vorhängeschloß gesichert. Eigentümer des Geländes ist die Bundesvermögensverwaltung.
Das Hotel Schaumburger Hof gehört hingegen der WestLB. Heinrich Heine hat sich hier einst so wohlgefühlt, daß ihn das Reimen überkam. ähnlich sollte es Gästen des Landes NRW ergehen. Das Traditionshotel sollte staatliches Gästehaus werden. Vorbei. Jetzt wird ein Käufer gesucht.
Wer einen Rheinwein unter Bäumen mit Aussicht auf Petersberg und Drachenfels trinken will, muß deshalb etwas weiter radeln, bis zum Alten Weinhaus Mehlem. Das ist nach wie vor in Privatbesitz, nach wie vor geöffnet und nach wie vor beliebt.
Auch das Rheinhotel Dreeßen gibt es noch. Daß Adolf Hitler sich hier fast so gerne aufhielt wie auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden, hat der Hoteliersfamilie niemand übelgenommen. Schließlich gab es das Hotel schon vor des "Führers" Zeiten.
Die Berliner Hohenzollern fanden diesen Rheinabschnitt gar so schön, daß sie sich dort einen eigenen Bahnhof erichten ließen. Heute ist der Bahnhof Rolandseck Galerie und Kulturzentrum. Wer bis hierhin geradelt ist, hat vorher den Rolandsbogen passiert. Von dort aus - allerdings ist er nur zu Fuß zu erklimmen - ist die Aussicht auf das Siebengebirge am eindrucksvollsten. Ferdinand Freiligrath hat sie zuerst gerühmt, Willy Schneider später. Texte sind im Restaurant zu besichtigen.
Wer den Weg zum Brückenmännchen auf der anderen Rheinseite zurückradeln will, kann mit der Fähre übersetzen, entweder in Rolandseck oder schon in Godesberg oder Mehlem, vielleicht gar mit jener Fähre, die einst Konrad Adenauer allabendlich hinüberbrachte zu seinem Wohnhaus in Rhöndorf.
Fast hätte Adenauer es weniger bequem gehabt, fast hätte er weiter fahren müssen bis zum Kanzleramt, fast wäre das weltstädtische Frankfurt in der Geburtsstunde der Bundesrepublik "vorläufiger Sitz der obersten Bundesbehörden" geworden. Es kam anders, wenn die Mehrheit für Bonn auch knapp war.
Seither streckt das Brückenmännchen seinen Po gen Frankfurt. ätsch!
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