Die große Vision ist das eine, die vielen kleinen hakeligen Paragraphen sind das andere. Die Vision heißt: eine große Handelszone ohne Zollschranken vom Yukon bis nach Yucatan, ganz Nordamerika als Markt ohne Grenzen. Der Blick auf die Paragraphen aber - und auf den US-Wahlkampf - lassen erwarten: So rasch wird die Vision nicht Wirklichkeit werden.
1988 unterzeichneten die USA und Kanada ein Handelsabkommen. Mit dem Ziel, eine Nordamerikanische Freihandelszone zu schaffen. Von Anfang an war geplant, Mexiko hinzuzunehmen. Seit Februar 1991 verhandelten Vertreter der drei Regierungen unermüdlich über die Details des neuen, erweiterten NAFTA-Vertrages (NAFTA steht für: North American Free Trade Agreement). Zuletzt tagten sie pausenlos, in einem Hotel in Washington, tagelang, nächtelang. Immer wieder hieß es, eigentlich sei alles klar. Nur Details seien noch offen. Doch in denen, zeigte sich dann, steckte der Teufel.
NAFTA ist Amerikas Antwort auf den Europäischen Binnenmarkt. Mit dem Verschwinden der Grenzen und Handelsschranken zwischen den EG-Staaten sehen die USA sich (vorausschauend) ihres größten internationalen Wettbewerbsvorteils beraubt: der weltweit größte Markt ohne Schranken zu sein. Doch im Verbund mit Kanada und Mexiko würde Amerika Europa erneut enteilen - jedenfalls im Vergleich der Flächen.
Mexiko, Kanada und die USA umfassen ein Gebiet von rund 23 Mio Quadratkilometern, zweimal so groß wie der ganze europäische Kontinent. Im Nafta-Raum leben mehr als 330 Mio Menschen, etwa ebenso viele wie in der EG. Zusammen erwirtschafteten die drei Staaten 1991 ein Bruttoinlandsprodukt von rund 6,5 Billionen Dollar (6500 Mrd Dollar). Allein die USA allerdings waren dabei für rund 5,7 Billionen Dollar gut.
Nicht nur vom Titel und Wortklang, auch von Inhalt und Ziel ist die NAFTA weniger mit der EG vergleichbar, als mit der EFTA, dem von der Geschichte inzwischen überholten Versuch europäischer Nicht-EG-Staaten, eine europäische Freihandelszone zu bilden. Eine politische Zusammenarbeit außerhalb des wirtschaftlich Notwendigen, eine politische Union gar, sieht NAFTA nicht vor.
NAFTA war von Anbeginn nicht nur Quell großer Hoffnungen, sondern auch Zielscheibe heftiger Kritik, Anlaß zu Befürchtungen.
Kanada fürchtete, noch tiefer in den Schatten des übermächtigen Nachbarn USA zu rutschen. Schon allein deshalb waren die Kanadier für die Erweiterung des Vertragsgebietes um Mexiko.
In Mexiko wehrte sich vor allem die Energiewirtwschaft bis zuletzt heftig gegen den Einlaß der Konkurrenz aus den USA auf den heimischen Markt.
In den USA machten und machen vor allem die Gewerkschaften gegen den Vertrag mobil. Für die AFL-CIO, den US-Gewerkschaftsdachverband, pflastert NAFTA "den Weg für den Export Hunderttausender unserer Jobs nach Mexiko." Unabhängige Experten schätzen, daß die durchschnittlichen industriellen Lohnkosten in Mexiko nur ein Zehntel dessen betragen, was in den USA oder Kanada üblich ist.
NAFTA soll deshalb nicht schnell und nicht mit einem Schlag Wirklichkeit werden. Vereinbart ist eine öbergangszeit von 15 Jahren, in der allmächlich die Importzölle und Handelsrestriktionen abgebaut werden. Die Regierung Bush setzt darauf, daß in diesem Zeitraum und unter dem Druck des zusammenwachsenden Marktes auch das Lohngefälle schrumpft.
Schon heute produzieren viele US-Unternehmen teilweise im südlichen Nachbarland, manchmal nur Meilen von der Grenze entfernt. Die US-Gewerkschaften sind wütend, die Unternehmen aber argumentieren, nur so blieben sie wettbewerbsfähig. Die Alternative heiße: Pleite.
Erst unter dem Druck der Gewerkschaften, der Demokraten im Kongreß und der Umweltschutzverbände wurden ökologische Fragen in das Vertragswerk aufgenommen. Mexikos Umweltgesetzgebung gilt im nördlichen Nachbarland als lasch beziehungsweise nicht vorhanden. NAFTA sieht vor, daß eine trilaterale Expertenkommission darüber wacht, daß Umweltvorschriften nicht umgangen werden. Ein Negativwettbewerb um den Standort mit den geringsten Umweltauflagen soll vermieden werden. Der Praxistest steht noch aus.
Zum érger der Umweltschützer sieht NAFTA auch vor, daß ökologische Bedenken kein Handelshindernis sein dürfen. So wären den USA künftig die Hände gebunden, wenn etwa die mexikanische Thunfisch-Fangflotte wieder - wie bis vor einem Jahr üblich - massenhaft Delphine töten sollte. Das Thunfischfleisch müßte trotzdemn freien Zugang zum US-Markt finden.
Die gegenseitige Besteuerung von Importen soll allmählich wegfallen. Besonders umstritten war das in Bezug auf Bier und Autos. Die US-Brauer sehen sich schon heute massiver Konkurrenz aus Kanada ausgesetzt. Die kanadischen Brauer führen eine gleichlautende Klage. Vor alllem im Süden der USA ist mexikanisches Bier beliebt, wegen der noch geltenden Einfuhrsteuer allerdings teuer.
Die US-Autoindustrie fürchtet den freien Zugang der Weltkonkurrenz zu ihren angestammten Heimatmärkten wie der Teufel das Weihwasser, seitdem Europäer und vor allem Japaner und Koreaner mit ihren besseren und preiswerteren Wagen einen Großteil des amerikanischen Automarktes aufgerollt haben. Um das weitere Eindringen der außerkontinentalen Konkurrenz in den US-Markt auf dem Umweg über Kanada oder Mexiko an den geltenden Einfuhrquoten vorbei zu verhindern, sieht NAFTA vor, daß ein Auto nur dann als amerikanisches Produkt gilt, wenn mindestens 60 Prozent seiner Einzelteile auf dem Kontinent hergestellt wurden. Das klingt einfach, führt in der Praxis aber schon heute zu endlosen Streitereien darüber, wann die 60-Prozent-Grenze erreicht ist. Was ist, wenn ein amerikanischer Zulieferer Schrauben oder Kolbenringe aus Fernost-Produktion verwendet? NAFTA schreibt vor: Nur der Wert der Montagearbeit zählt als amerikanisches Produkt. Die Industrieanwälte reiben sich schon jetzt die Hände.
Schon heute ist Kanada der größte und Mexiko der drittgrößte Handelspartner der USA. (Der zweitgrößte ist Japan). 1991 haben die USA erstmals mehr nach Mexiko exportiert als umgekehrt (33,3 Mrd. Dollar gegenüber 31,1 Mrd Dollar). Der Warenverkehr boomt, auch schon ohne NAFTA. Die kanadischen Exporte in die USA summierten sich 1991 auf 91,1 Mrd Dollar, die US-Exporte nach Kanada auf 85,1 Mrd Dollar. Die Vertragsbefürworter setzen darauf, daß diese Entwicklung durch NAFTA zusätzlichen Schwung bekommt - zum Nutzen aller drei Volkswirtschaften.
Bush möchte dem Vertrag noch in diesem Jahr zu Gesetzeskraft verhelfen - bevor seine Amtszeit ausläuft. Der Kongreß muß zustimmen. Ob er das tut, ist höchst fraglich. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bill Clinton hat sich im Laufe des Wahlkampfes vom NAFTA-Befürworter zum -Kritiker gewandelt. Er glaube zwar, daß der freie Handel mit Mexiko gut sei für die USA, sagte er, der Vertrag, wie die Regierung Bush ihn ausgehandelt habe, aber sei verbesserungsfähig. Und das Repräsentantenhaus verabschiedete während der Schlußphase der Vertragsverhandlungen vorsorglich eine Resolution. Des Inhalts: Der Kongreß werde keinem Vertrag zustimmen, der den Standard der US-Gesundheits-, Abeitssicherheits- und Umweltgesetze aushöhlt. Abstimmungsergebnis: 362 zu null.
Theoretisch ist die Grenze zwischen den USA und Mexiko heute weitgehend dicht, jedenfalls für Mexikaner, die in den USA Brot und Arbeit suchen. Praktisch aber strömen Jahr für Jahr Hunderttausende von ihnen nach Norden. Entweder als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, als legale oder (meist) illegale Einwanderer. Die Vertragsbefürworter hoffen, daß NAFTA die Völkerwanderung von Süd nach Nord stoppt. Indem der mexikanische Lebensstandard steigt. Städten wie Los Angeles, wo niemand zu schätzen wagt, wieviele Mexikaner hier illegal leben, brächte das eine große Entlastung.
Doch Vertragsgegner wie der demokratische Senator Donald W. Riegle aus Michigan wettern, die brachliegende heimische Industrie und die Arbeitslosenquote im Wahlkreis vor Augen: "Es ist nicht unsere Aufgabe, Mexiko zu industrialisieren. Es ist unsere Aufgabe, die USA zu re-industrialisieren."
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