Gorbatschow mit großem weißem Stetson auf dem Kopf - die Amerikaner nehmen es mit Genugtuung auf und mit Humor. Der Stetson, die Luxusvariante eines Cowboyhutes, ist das Erkennungszeichen texanischer ôlbarone und der rechten, unternehmerischen Gesinnung. Was mag sich der frühere US-Präsident Ronald Reagan gedacht haben, als er den Gorbatschows zur Begrüßung auf seiner kalifornischen Ranch ausgerechnet zwei Exemplare dieses ausladenden Kopfschmucks verehrte? "Wir haben lange auf diesen Augenblick gewartet," sagte Reagan, ganz Pokerface.
Für Reagan war die Sowjetunion einst schlicht das Reich des Bösen. Böse tragen in Cowboyfilmen immer schwarze Hüte.
Gorbatschow darf sich jetzt aufgenommen fühlen in den Club der Guten. Amerika empfängt ihn mit offenen Armen, wenn auch nicht mit jener Begeisterung, die den einstigen Kreml-Herrn neulich in Deutschland von Bonn über Neuschwanstein nach Hamburg und Gütersloh begleitete. Gorbatschow wünscht sich vor allem, daß ihn die amerikanische Geschäftswelt mit offenen Brieftaschen empfängt.
Für ein Essen mit ihm und Reagan sollen Teilnehmer 5000 Dollar bezahlen. Freilich bekommen sie dann auch ein signiertes Foto der zwei Staatsmänner, die, so die Ankündigung, "den kalten Krieg beendet haben".
Ein kalifornischer Geschäftsmann namens James Garrison hat Gorbatschows 14-Tage-Trip durch die Staaten organisiert. Garrison gilt als Experte für das Vermarkten abgedankter Berühmtheiten. Hinter ihm oder jedenfalls auf dem Briefkopf stehen illustre Namen wie die der ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz. Arthur Hartman, einst US-Botschafter in Moskau, ließ sich von der Liste streichen. Er helfe nicht mit, Geld für einen Ausländer auftreiben, ohne genau zu wissen, was mit dem Geld gemacht wird, teilte Hartman mit.
"Gorbis" Geldsammelmethoden im Interesse seiner Moskauer Stiftung interessieren hierzulande bislang mehr als die Frage, welche Botschaft er wohl mitbringt. Am Mittwoch will Gorbatschow sie verkünden, im Westminster College in Missouri. Am gleichen Ort, an dem Winston Churchill 1946 jene berühmte Rede hielt, mit der er das Bild vom "Eisernen Vorhang" prägte; die Kampfansage des freien Westens an die Sowjetunion, die bis dato als Verbündeter galt, als Alliierter im Kampf gegen Hitler-Deutschland.
Der Anspruch, der hinter einer solchen Planung steckt, scheint Amerikanern vermessen. Wer ist Gorbatschow?, fragen viele. Schließlich regiert im Kreml heute ein anderer, Boris Jelzin. Abgedankte haben wenig zu sagen in Amerika, Verlierer gar nichts. Ein Held des Rückzugs, wie Hans Magnus Enzensberger Gorbatschow betitelte, kommt in der amerikanischen Sagenwelt nicht vor.
Daß er Geld verdienen will, gut. Das will jeder. Daß Raissa Gorbatschowa staunend vor Ronald Reagans privater Zapfsäule stand - "Und bei uns zuhause stehen die Menschen Schlange für Benzin." -, umso besser. Daß wohlhabende Amerikaner die Gelegenheit nutzen, sich mit einer Berühmtheit von gestern zusammen fotografieren zulassen, nun, das ist menschlich. Aber daß Gorbatschow angedeutet hat, er wolle Forderungen stellen an die amerikanische Politik, daß er möglicherweise gar ein politisches Comeback plant, das weckt Mißtrauen. Nachgetragen wird ihm, daß er, trotz Stetson, dem Sozialismus bislang nicht abgeschworen hat.
Und so erwartet die amerikanische ôffentlichkeit eher mit Unbehagen Gorbatschows Besuch in Los Angeles, wo die Aufräumarbeiten nach den blutigen Unruhen der vorigen Woche voll im Gange sind. Eigentlich hatte Reagan seinen Gast mit dem Helikopter über L.A. herumfliegen wollen, um ihm von oben die Swimmingpools der amerikanischen Arbeiter zu zeigen. Der Programmpunkt wurde abgesagt.
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