Gnadenakt mit Beigeschmack - ein Federstrich des Präsidenten beendet die Iran-Contra-Affäre25/12/1992
Der Zeitpunkt war geschickt gewählt: An Heiligabend beendete Präsident George Bush mit einem Federstrich den spektakulärsten US-Regierungsskandal seit Watergate, die Iran-Contra-Affäre.
Bush begnadigte den früheren US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger und fünf ehemalige Regierungsmitarbeiter. Die Aufregung hielt sich in Grenzen; Politiker und Journalisten hatten Washington bereits verlassen. Es regierte Festtagsstimmung.
Nur einer tobte: Lawrence E. Walsh, jener eigens eingesetzte Strafverfolger, der seit sechs Jahren versucht, Licht in das Dickicht der geheimen Waffenschiebereien der Reagan-Jahre zu bringen. In mühsamer Kleinarbeit hatte er nacheinander immer neue Papiere und Zeugen ans Licht gezerrt.
Walsh war davon überzeugt, einer „Verschwörung innerhalb der höchsten Ränge der Reagan-Regierung“ auf der Spur zu sein. Einer Verschwörung mit dem Ziel, Parlament und Öffentlichkeit zu täuschen, Reagan und Bush reinzuwaschen. Der Gnadenakt von Heiligabend, schäumte er, vollende die Vertuschung.
Dank Walsh wurde Reagans ehemaliger Sicherheitsberater Robert McFarlane zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Dank Walsh wurde der ehemalige CIA-Spionagechef Clair E. George im Dezember für schuldig befunden, den Kongreß belogen zu haben. Er sah einer Gefängnissstrafe von bis zu fünf Jahren entgegen. Dank Walsh sollte der Prozeß gegen Weinberger am 5. Januar beginnen. Daraus wird nun nichts, und auch McFarlane und George können Walsh nun eine Nase drehen.
Bush und seine Republikaner hatten dem eifrigen Ermittler ohnehin übelgenommen, daß er wenige Tage vor dem Termin der Präsidentschaftswahl eine neue Klageschrift gegen Weinberger vorgelegt und so den Skandal in die Schlagzeilen zurückgebracht hatte. Manch ein Republikaner glaubt, das habe Bush den Wahlsieg gekostet.
Der USƒPräsident hat die Macht, Strafen aufzuheben und Prozesse zu beenden. Den aufsehenerregendsten Gnadenakt tätigte Gerald Ford 1974, als er seinen Vorgänger Richard Nixon den Klauen der Justiz entriß. Nixon hatte wegen des Watergate-Skandals zwar zurücktreten müssen, kam aber nie vor Gericht.
Bushs Weihnachtsgeschenk für Weinberger, McFarlane, George und drei andere war nicht frei von Eigennutz. Möglicherweise hat er sich selbst mitbeschenkt. Denn kürzlich aufgetauchte Aufzeichnungen Weinbergers untermauerten den Verdacht, daß Bush 1986 als Vizepräsident mehr wußte, als er bisher zugegeben hat.
Worum ging es? Mitarbeiter des Weißen Hauses und der CIA haben 1986 an das iranische Ayatollah-Regime Waffen verkauft, um Geiseln freizubekommen. Das erlöste Geld wurde an die Contra-Rebellen in Nicaragua weitergeleitet - beides am Kongreß, der amerikanischen Öffentlichkeit und den Gesetzen vorbei. Bush hat wie Reagan immer geleugnet, über die Einzelheiten des Deals im Bilde gewesen zu sein.
In Washington mochte das kaum ein Insider glauben. Wozu war Bush einst selber CIA-Chef? Doch harte Beweise fehlten. Es blieb bei vagen Aussagen wie der des Ex-Air-Force-Generals Richard V. Secord. Der behauptete, Bush habe Reagan eng beraten, als der nach Wegen suchte, mit den Teheraner Machthabern ins Geschäft zu kommen. Secord war der Mann, der das Tauschgeschäft Waffen gegen Geiseln praktisch durchführte. Er bekannte sich 1989 schuldig und wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ihn hat Bush nicht begnadigt.
Wäre Weinberger vor Gericht gekommen, hätte Bush womöglich als Zeuge aussagen müssen. Ermittler Walsh kündigte an, er werde nun gegen Bush selber ermitteln. Erst Anfang Dezember war bekannt geworden, daß Bush als Vizepräsident Tagebuch geführt hat. Walsh erhofft sich davon neue Beweise.
Beobachter halten es aber für unwahrscheinlich, daß der Präsident vor einen Ausschuß oder gar vor Gericht gezogen wird. Ein Prozeß gegen Bush könnte das Amt des Präsidenten als solches in Mitleidenschaft ziehen. Auch der künftige Präsident Clinton kritisierte zwar, daß von dem Pardon ein falsches Signal ausgehe, nämlich „das Signal, wer für die Regierung arbeitet, steht über dem Gesetz“, aber ansonsten hielt er sich auffällig zurück. Führende Demokraten signalisierten, sie seien bereit, sich mit diesem Ende der Affäre abzufinden.
Schließlich wurde Bush ja abgewählt. Das könnte Strafe genug sein.
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