Willi Kreuzer ist Gepäckträger. Sein Arbeitsplatz ist der Hauptbahnhof in Köln am Rhein. Gepäckträger, ja, gibt’s denn die noch? Sind sie nicht längst jenen Blechkarren gewichen, die den Vorteil haben, überall abgestellt werden zu können? Nein, es gibt sie – wieder. Jedenfalls in Köln, Bonn, Düsseldorf, Koblenz und Wuppertal. Bis Mai will die Bundesbahn testen, wie der neue/alte Service angenommen wird. Um ja keinen Fehler zu machen, hat sie auch noch eine Marktforschungsanalyse in Auftrag gegeben. Sollten Reisende und Wissenschaft „Ja“ sagen zu dieser Humanisierung des deutschen Gepäcktransportwesens, würde das Angebot mindestens auf alle Intercity-Haltepunkte ausgedehnt.
Für Willi Kreuzer ist es ein Comeback. Ihn holte der Wille des DB-Vorstandes, das Image der Bahn zu verbessern, zurück aus der tristen Arbeitswelt des Gepäckdienstes unter den Gleisen ins Rampenlicht der großen weiten Reisewelt. Hier stand Willi Kreuzer schon einmal, vierzehn Jahre lang, bis 1983. Pardon: Meistens ging er und schleppte Koffer. Damals war er ein quasi selbständiger Unternehmer mit Garantielohn, heute bezieht er ein festes Gehalt. Gebühren, die er kassiert (fünf Mark für das erste und 2,50 Mark für jedes weitere Gepäckstück), hat er unverzüglich am Fahrkartenschalter abzuliefern. Früher wartete er, in den besten Zeiten gemeinsam mit einem Dutzend Kollegen, oben auf dem Bahnsteig, bis er gerufen wurde; per Knopfdruck und Lichtsignal vom Reisenden selbst oder, später, über Lautsprecher vom Kollegen in der Meldestelle.
Heute heißt die alte Meldestelle Kundendienststelle. Der Gepäckträger muß jetzt vorbestellt werden; telephonisch oder schriftlich oder über Bahnfunk vom Intercity aus. So lasse sich viel exakter planen, meinen die DB-Oberen, und die Arbeitskraft der Träger könne zwischenzeitlich anders genutzt werden. Wenn niemand seine Dienste anfordert, schiebt Willi Kreuzer ganz normalen Gepäckdienst, Untertage sozusagen, im schmuddeligen Blaumann. Schallt dann der Ruf: „Williii!“ durch die Bahnhofsunterwelt, tauscht er rasch die blaue gegen eine grüne Jacke und setzt sich jene ehrfurchtgebietende Dienstmütze auf den Kopf, auf der gelb und deutlich steht: „Gepäckträger“. Dann strafft sich sein Körper, und er begibt sich, gemessenen Schrittes, nach oben.
Auf Gleis drei hat Einfahrt der Zug aus Den Haag. Willi Kreuzer geht auf eine ältere Dame zu,, die am Bahnsteig wartet: „Haben Sie einen Gepäckträger bestellt?“ Er kennt die Dame, sie kommt öfter. Diesmal erwartet sie eine Freundin aus Holland, die eine Stunde später schon Weiterreisen will. Willi Kreuzer soll die Koffer zum anderen Gleis hinüberbringen. Ob die Damen nicht in der Zwischenzeit einen Kaffee trinken wollten, fragt er, er nehme das Gepäck solange in Verwahrung, schließlich sei es kalt, und eine ganze Stunde in der zugigen Halle ...?
Kassieren wird Willi Kreuzer später. Die doppelte Gebühr, weil er zweimal kommen muß? Nein, wehrt er ab, das wäre ja wohl etwas teuer. Doch streng nach Vorschrift wäre jetzt zweimal eine Gebühr fällig.
Im Schnitt zehnmal am Tag wechselt Willi Kreuzer oder einer seiner Kollegen das Kostüm. Ihr Kölner Dienststellenleiter Franz-Josef Winnemöller findet die Nachfrage „angemessen gut“. Auf den kleineren Bahnhöfen im Versuchsgebiet soll es ruhiger zugehen. Hektik kommt allerdings auch in Köln selten auf.
Meist sind es ältere Leute, die um einen Gepäckträger bitten. Oder Japaner. Oder Kommunisten. Sowjetische und ungarische Diplomaten der rheinischen Handelsmissionen zählen zu den Stammkunden. Sie wissen den Wert menschlicher Arbeit eben zu schätzen. Uwe Knüpfer