Uwe Knüpfer
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Friedensfürst aus Arkansas

1/12/1995

 
Ausgerechnet Bill Clinton. Ein Jahr vor dem Ende seiner (ersten?) Amtszeit sammelt der US-Präsident Punkte als erfolgreicher Außenpolitiker, als Friedensstifter in Bosnien, Nordirland, Nahost und Haiti. Das war ihm nicht in die Wahlurne gelegt.

1992 schlug Clinton Golfkriegssieger George Bush dank des Versprechens, sich mit ganzer Kraft um die Innenpolitik zu kümmern. Als Gouverneur eines US-Bundesstaates - seiner Heimat Arkansas - wußte Clinton, woran das politische System der USA krankt. Von der Welt draußen schien er hingegen wenig zu wissen und wenig wissen zu wollen. Bushs Republikaner machten sich über den Konkurrenten aus dem Hinterland mit dem Spruch lustig, Clinton habe seine außenpolitischen Erfahrungen wohl im "International House of Pancakes" gesammelt, der Niederlassung einer Fast-Food-Kette.

Kandidat Clinton tat wenig, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Und auch in den ersten zwei Jahren als Präsident verließ er selten das Land und vermied es, allzu auffällig Reden zur Außenpolitik zu halten. Er bemühte sich um Reformen im Innern, hatte Erfolg mit einigen, scheiterte mit seinen ehrgeizigsten: Vor allem die großangelegte Gesundheitsreform kam nicht zustande. Die Wähler zahlten es Clinton und dessen Demokraten heim und verschafften den oppositionellen Republikanern im Herbst 1994 Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses. Seither kann Clinton innenpolitisch kaum mehr handeln, nur noch reagieren.

Seither hat er Gefallen daran gefunden, zu seiner Außenpolitik sichtbar zu stehen. Erst jüngst hat Clinton daheim eine große Rede wider den Isolationismus gehalten. Sein Credo ist: Die Welt braucht ein starkes Amerika, und Amerika ist nur stark, wenn seine Interessen sich mit seinen Grundsätzen decken. Ist mit anderen Worten die Verschwisterung von Interessenpolitik und gutem Gewissen.

Doch ein engagierter Außenpolitiker war Clinton schon zuvor; es fiel nur kaum auf. Clintons lautverkündete Arkansas-Begeisterung  ließ vergessen, daß dieser Präsident in Oxford studierte, daß er als Teenager Diplomat werden wollte. Im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute wußte Clinton schon immer genau, wo Bosnien liegt.

Er ist ein Kind des amerikanischen Wirtschaftswunders. Geboren 1946 in der hintersten Provinz, großgezogen von einer frühverwitweten Mutter, boten ihm gute Schulen - und sein eigener Ehrgeiz - die Chance zum sozialen Aufstieg. Clinton wurde groß in einer Zeit, in der es Mittelschicht-Amerikanern beständig besser ging, und in der nichts unmöglich schien.

Er ist ein "Boomer", in Europa würde man sagen: ein 68er. Er ist der erste US-Präsident, der nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde. Er protestierte als Student gegen den Vietnamkrieg und trickste sich am Wehrdienst vorbei - weshalb ihm viele Landsleute heute das Recht absprechen, GIs auf den Balkan zu schicken.

Als Teenager hatte Clinton es daheim mit einem trinkfreudigen und gelegentlich gewalttätigen Stiefvater zu tun. Großgewachsen, wie er war, sah er sich früh in der Rolle des Beschützers seiner Mutter und seines jüngeren Stiefbruders. Psychologen leiten daraus Clintons Hang zum Schlichten, seine Sehnsucht nach Harmonie und Anerkennung ab.

(Die Legende will es, daß Clinton spätestens als 15jähriger entschlossen war, eines Tages Präsident der USA zu werden. Als Pfadfinderführer gab er Präsident Kennedy die Hand. Das Fotos wurde drei Jahrzehnte später berühmt.

Auf jeden Fall arbeitete Clinton früh und zielstrebig an einer politischen Karriere. Zurückgekehrt  von den Eliteuniversitäten der Ostküste und Englands - und begleitet von Hillary Rodham aus Chicago - wurde er 1976 zum Generalstaatsanwalt  - Attorney General - von Arkansas gewählt. Zwei Jahre später wurde er, 32jährig,  der jüngste Gouverneur der USA.

In Arkansas, einem der ärmsten und rückständigsten der 50 US-Bundesstaaten, profilierte sich Clinton in seinen insgesamt zwölf Amtsjahren als Gouverneur vor allem als Bildungspolitiker.)

Clinton ist belesen und detailversessen. Sein Charme kann überwältigend sein. Als Chef wird er von manchen verehrt, von anderen gefürchtet. Er ist ein "workaholic". Er schreibt sich seine wichtigsten Reden selbst; wie jene, die er am Grab von Yitzhak Rabin hielt, des ermordeten Ministerpräsidenten Israels.

Schon in Arkansas machten bei jeder Wahl Gerüchte über angebliche Seitensprünge und sonstige Windigkeiten Clintons die Runde. Sie alle tauchten im Präsidentschaftswahlkampf 1992 wieder auf, zur "Charakterfrage" gebündelt.

Seit Nixon wurde kein US-Präsident von einem Teil des Volkes so leidenschaftlich gehaßt wie Clinton. Auf einem Kongreß von Waffenfreunden verkauften sich vor kurzem T-Shirts glänzend, auf denen stand: "Wo ist Oswald, wenn man ihn braucht?"  Lee Harvey Oswald war der Mann, der Kennedy erschoß.


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