Aktualisiert 16. Januar 1987 07:00 Uhr Von Uwe Knüpfer
Die gebürtige Hamburgerin Ute hat massenhaft freie Zeit und viele leere Zimmer in ihrem großen Haus im feinen Southampton auf Long Island. Wie mehr und mehr Amerikaner auch, ist sie so auf eine lohnende Nebenbeschäftigung gekommen: Privatzimmer an Touristen zu vermieten. „Bed and Breakfast“ ist „in“ in den Staaten, wenn nicht gar „hip“ – bei Vermietern wie bei Gästen.
Ute hat, wie man so gerne sagt, „die Welt“ gesehen. „Ich war die Frau Teddy Staufers“, sagt sie, überzeugt davon, daß dies als Erklärung reichen muß. 17 Jahre lang lebte sie in Acapulco und in Manhattan. Jetzt, mit neuem amerikanischem, 75jährigem Mann im ruhigen Badeort zwei Autostunden von New York City entfernt, läßt sie „die Welt“ zu sich kommen. „Denken Sie nur, letztens hatte ich an einem Sonntagmorgen vier Nationen am Kaffeetisch: einen italienischen Arzt mit englischer Frau und einen Franzosen mit Belgierin.“
In Großbritannien gilt „Bed and Breakfast“ kurz B&B, als insulare Variante der kontinentalen Privatpension. Doch in den USA, dem Mutterland der Hotel- und Motelketten, ist die Idee neu und mutet viele Amerikaner fremdartig an. Was sehr verständlich ist: Bekommt der Reisende in den USA doch, wohin er auch fährt, problemlos ein-Hotelzimmer mit Bad, Telephon und Farb-TV. Ein Raum, dessen Grundriß ihm bestens vertraut ist, denn er sieht in Miami, Florida, genauso aus wie in Youngstown, Ohio.
Doch momentan gilt es als schick, Individualität zu zeigen, jedenfalls unter den jungen Metropolen-Bewohnern, den Yuppies. Sie suchen nach einer Erholungs-Alternative zum Hotel-Einerlei. Manch jungem „Executive“ ist auch das überkommene Country-Club-Weekend entweder zu betulich oder (noch) zu teuer. Es seien eben „outstanding people“, ungewöhnliche Leute, Trendsetter, die „Bed and Breakfast“ zur Mode machen, meint so auch Ute.
Vor allem in Kalifornien und den Ostküstenstaaten zwischen Boston und Washington existieren inzwischen ganze „Bed and Breakfast“-Netze. Wer will, kann inzwischen das ganze Land bereisen, ohne sich ein einziges Mal in ein Hotelbett legen zu müssen.
Preiswerter ist B&B ebenfalls: In einem Washingtoner Hotel etwa würde es ein Vermögen kosten, ein Appartement mit Bad und Sauna in der Nähe des Weißen Hauses zu mieten. Bei Helen und Harold Cary kostet das Vergnügen ganze 35 Dollar. Inklusive Frühstück, für das Harold, wenn er den Gast mag, früh am Morgen auch eigenhändig frische Pfannkuchen backt. Wozu es dann besten Ahornsirup aus Vermont gibt, Fruchtsalat, Rühreier, Obstsaft, Toast, Gebäck, die Zeitung, reichlich Kaffee und: ein fesselndes Gespräch über amerikanische Politik. Die Carys – er ist Direktor einer Gesundheitsbehörde, sie Lehrerin – vermieten die Räume ihrer Kinder, die längst aus dem Haus sind. Besonders gerne vermieten sie an ausländische Gäste. Damit die merken, daß es auch Amerikaner wie Helen und Harold gibt, die eigens nach Nicaragua gefahren sind, um zu sehen, ob die dort regierenden Sandinisten wirklich jene schlimmen Bolschewisten sind, als die sie die Reagan-Regierung hinstellt. Seither schämen sich die Carys für die derzeitige US-Mittelamerika-Politik. B&B-Wohnen ist wie Eintauchen ins Middle-Class-America. Wo sonst kann ein Tourist so hautnah die Lebensgewohnheiten amerikanischer Familien miterleben? Wo sonst kann er schon beim Frühstück alle Insider-Informationen über die Stadt sammeln, in der er sich gerade befindet?
Ruth und James Horsch etwa bewohnen eines jener rotgestrichenen Holzhäuser, wie sie für das hügelige Farmer-Land in Pennsylvania typisch sind. James ist Herausgeber einer Mennoniten-Zeitschrift, Ruth betätigt sich, seit ihre Tochter in Pittsburgh studiert, mit Inbrunst als professionelle Gastgeberin.
Jedes der drei Zimmer, die Ruth vermietet, hat sie anders gestaltet; mit alten Möbeln, Antiquitäten, liebevoll bestickten Kissen und Strohblumensträußen. Außerdem weiß sie alles über die Highlands: Wo es das beste „Seafood“ zu essen gibt, wo die delikatesten italienischen Pasta, wann wo welches Museum geöffnet ist, welcher Wanderweg der lohnendste ist. Doch nichts macht Ruth mehr Freude, als wenn sich an ihrem Frühstückstisch durch Zufall Menschen treffen, die sich etwas zu sagen wissen. Sie liebt solche Spontan-Gespräche. Wobei das Wörtchen „liebt“ groß und fett gedruckt werden müßte, um wiederzugeben, wie Ruth es betont.
Diese Vorliebe für Gespräche scheint überhaupt typisch zu sein für „B&B“-Vermieterinnen. Und wenn sie selbst zuwenig Zeit haben, besorgen sie womöglich, wie Catherine Hatala in Philadelphia, dem ausländischen Gast einen privaten Fremdenführer. Bei Catherine erledigt das ihr Nachbar Bob, ein spitzbärtiger Deutschstämmiger, der schier alles über Philadelphia zu erzählen weiß, und alles in Anekdotenform. „Stuff like that, you know?“, ist seine Lieblingswendung. Er entpuppt sich als Bergsteiger, Experte für Schrumpfköpfe und Kindersärge, als Gourmet und Weltenbummler. Und er weiß auch genau, warum kein Mensch das neue Museum am Hafen besichtigen will: „Da kann man gar nichts drin ausstellen, dafür sind die Räume einfach nicht geeignet. Das hat nämlich der damalige Gouverneur von seinem Sohn bauen lassen. Der war zufällig Architekt, vor allem aber Rockmusiker. Man kann wunderbare Rockkonzerte geben in dem Bau.“ Stuff like that, you know?
Doch weil „B&B“ in Mode gekommen ist, sind leider nicht alle Häuser, die sich dafür anbieten, gepflegt und gastlich wie die von Ute, Helen, Ruth oder Catherine. „B&B“-Agenturen sprießen mancherorts wie Schimmelpilze. Auf der drängenden Suche nach Vermietern nehmen sie dann offenbar auch Häuser in ihre Kartei, die vorher niemand kritisch geprüft hat. Ich jedenfalls schlief und frühstückte immer dann am besten, wenn ich mich an die jeweils älteste und größte „B&B-Vermittlung“ am Ort gehalten – und rechtzeitig reserviert hatte.
Amerikaner lieben langfristige Urlaubsplanungen. Spontananfragen wie: „Ist heute nacht noch ein Zimmer frei?“, stimmen erfahrene B&B-Gastgeber zunächst einmal mißtrauisch. Ein Teil dieses Mißtrauens legt sich allerdings rasch, wenn sie hören, daß der Anrufer Ausländer ist. Ohne gute Planung könnte es dem Reisenden aber durchaus widerfahren, daß er ein Haus aus dem Jahr 1816 betritt, in dem es mieft wie in einer Familiengruft.
Doch das sind erstens Ausnahmen und zweitens: Es stehen in den USA nun einmal auch viele alte, renovierungsbedürftige Häuser mit feuchtem Mauerwerk, nicht nur prachtvolle Museumsbauten aus der Kolonialepoche und gepflegte Millionärsvillen im Hollywood-Stil.
- Quelle DIE ZEIT, 16.1.1987 Nr. 04