Ein 30jähriger im Bündnis mit einem 241jährigen erregen derzeit Washington. Eigentlich aber steckt ein Lehrer dahinter.
Gregory T. Watson, Assistent eines Kongreß-Abgeordneten, fühlte sich "auf Wolke neun". Sein Verbündeter, James Madison, blieb stumm. Der vierte Präsident der Vereinigten Staaten (von 1809 bis 1817) weilt schon lange im Walhall der amerikanischen Gründungsväter. Seine derzeit lebenden Nachfolger auf Washingtons politischer Bühne, Watsons Brötchengeber, waren dafür umso mehr aus dem Häuschen.
Was war geschehen? Die Staaten Michigan und New Jersey hatten einem Verfassungszusatz zugestimmt, den Madison einst formuliert hatte. Der Autor der US-Bürgerrechte hielt es nicht für richtig, daß gewählte Abgeordnete sich selbst ihre Bezüge verbessern können. Deshalb wollte er unauslöschlich in den Grundstein der amerikanischen Rechtsordnung die Worte meißeln: "Kein Gesetz, das die Diätenregelung für Senatoren und Abgeordnete verändert, darf in Kraft treten, bevor nicht eine Neuwahl der Volksvertreter stattgefunden hat."
Nach amerikanischem Recht müssen mindestens 38 Einzelstaaten einem Verfassungszusatz zustimmen, damit er rechtskräftig wird. Madisons Selbstbeschränkungsregel wäre der 27. Zusatz, der das geschafft hätte. Hätte, wäre - denn noch wollen es die Politprofis vom Potomac nicht glauben, daß ihnen ein 30jähriger und ein 241jähriger in die Suppe spucken können. Der Sprecher des Abgeordnetenhauses, Demokrat Thomas Foley, erinnerte an ein "allgemeines Prinzip", wonach die Zustimmung binnen sieben Jahren zu erfolgen hat, oder der Zusatz gilt als gescheitert.
Das stimmt, mußte sich Foley entgegenhalten lassen, nur: Als Madison den nämlichen Zusatz auf den Weg brachte, gab es diese zeitliche Begrenzung noch nicht. Nun muß wohl der Kongreß entscheiden, ob Madison und Watson Erfolg haben sollen oder nicht. Er selbst habe natürlich nichts gegen die Selbstbeschränkungsregel an sich, fügte Foley eilig hinzu. Mit dem Instinkt des Profis, daß die Regel beim Wahlbürger populär sein könnte.
US-Abgeordnete beziehen derzeit knapp 130000 Dollar pro Jahr (rund 215000 DM). Zuletzt haben sie sich ihre Diäten Ende 1991 erhöht, unter Umständen, die in der amerikanischen ôffentlichkeit, gelinde gesagt, Mißfallen erregt haben. Die Entscheidung fiel in einer Nacht-und Nebel-Sitzung. Seit kurz danach noch ruchbar wurde, daß viele Abgeordnete jahrelang ihre Konten bei der eigens für Volksvertreter installierten Bank des Capitols gebührenfrei überzogen haben, sind die Parlamentarier in der öffentlichen Meinung vollends unten durch. Watson könnte so zum Volksheld werden.
Dem Madison-Zusatz hatten bis 1791 nur sechs Staaten zugestimmt, dann war er in Vergessenheit geraten. Auch damals war eben nicht jeder Abgeordnete so wie Madison ein wohlhabender Plantagenbesitzer, nicht angewiesen auf öffentliche Alimentation.
1873 stimmte Ohio dem Verfassungszusatz zu. Damit waren es sieben. 1978 kam Wyoming hinzu, und dann trat Watson auf den Plan. Eigenhändig schrieb er die Gesetzgeber in den Einzelstaaten an. 6000 Dollar, sagt Watson, habe er seither in die Schreiberei und Porto investiert. Mit dem Erfolg, daß zunächst Maine zustimmte, 1983, und dann ging es Schlag auf Schlag. Michigan, am Donnerstag dieser Woche, war der entscheidende, der 38. Staat.
Was Watson aber am meisten freut: Vor zehn Jahren hat er in einer studentischen Seminararbeit erstmals behauptet, Madisons Verfassungszusatz sei wiederbelebbar. Sein Professor war anderer Meinung, gab dem jungen Mann eine mäßige Note und weckte damit dessen Ehrgeiz. Jetzt hat es Watson nicht nur dem Kongreß, sondern vor allem seinem alten Lehrer gezeigt.
Kommentare sind geschlossen.
|
Loading Getty
Archiv
April 2020
Kategorien
Alle
DownloadsDie kompletten Jahrgänge DisclaimerViele
der hier verfügbaren Texte sind nicht end-redigiert. Sie können Fehler
enthalten, die in der Druckfassung korrigiert worden sind. Das trifft
insbesondere auf die Beiträge aus den Jahren 1992-2000 zu
(USA-Berichterstattung). Das Copyright zu allen hier verfügbaren Texten und
Fotos liegt beim Autor beziehungsweise bei den Fotografen. Wer Fotos oder
Texte, im Ganzen oder teilweise, kopieren oder sonstwie publizistisch verwenden
will, bedarf dazu der ausdrücklichen Einwilligung des Autors beziehungsweise
des Fotografen. |