Uwe Knüpfer
  • Home
  • Archiv
  • Bücher
  • Zur Person
  • Impressum
  • Kontakt

Ein 30jähriger dreht den US-Parlamentariern den Geldhahn zu oder: Wie Pädagogik die Welt bewegt - Ein 200 Jahre altes Gesetz soll die Selbstbedienung der Abgeordneten verhindern

8/5/1992

 
Ein 30jähriger im Bündnis mit einem 241jährigen erregen derzeit Washington. Eigentlich aber steckt ein Lehrer dahinter.
Gregory T. Watson, Assistent eines Kongreß-Abgeordneten, fühlte sich "auf Wolke neun". Sein Verbündeter, James Madison, blieb stumm. Der vierte Präsident der Vereinigten Staaten (von 1809 bis 1817) weilt schon lange im Walhall der amerikanischen Gründungsväter. Seine derzeit lebenden Nachfolger auf Washingtons politischer Bühne, Watsons Brötchengeber, waren dafür umso mehr aus dem Häuschen.
Was war geschehen? Die Staaten Michigan und New Jersey hatten einem Verfassungszusatz zugestimmt, den Madison einst formuliert hatte. Der Autor der US-Bürgerrechte hielt es nicht für richtig, daß gewählte Abgeordnete sich selbst ihre Bezüge verbessern können. Deshalb wollte er unauslöschlich in den Grundstein der amerikanischen Rechtsordnung die Worte meißeln: "Kein Gesetz, das die Diätenregelung für Senatoren und Abgeordnete verändert, darf in Kraft treten, bevor nicht eine Neuwahl der Volksvertreter stattgefunden hat."
Nach amerikanischem Recht müssen mindestens 38 Einzelstaaten einem Verfassungszusatz zustimmen, damit er rechtskräftig wird. Madisons Selbstbeschränkungsregel wäre der 27. Zusatz, der das geschafft hätte. Hätte, wäre - denn noch wollen es die Politprofis vom Potomac nicht glauben, daß ihnen ein 30jähriger und ein 241jähriger in die Suppe spucken können. Der Sprecher des Abgeordnetenhauses, Demokrat Thomas Foley, erinnerte an ein "allgemeines Prinzip", wonach die Zustimmung binnen sieben Jahren zu erfolgen hat, oder der Zusatz gilt als gescheitert.
Das stimmt, mußte sich Foley entgegenhalten lassen, nur: Als Madison den nämlichen Zusatz auf den Weg brachte, gab es diese zeitliche Begrenzung noch nicht. Nun muß wohl der Kongreß entscheiden, ob Madison und Watson Erfolg haben sollen oder nicht. Er selbst habe natürlich nichts gegen die Selbstbeschränkungsregel an sich, fügte Foley eilig hinzu. Mit dem Instinkt des Profis, daß die Regel beim Wahlbürger populär sein könnte.
US-Abgeordnete beziehen derzeit knapp 130000 Dollar pro Jahr (rund 215000 DM). Zuletzt haben sie sich ihre Diäten Ende 1991 erhöht, unter Umständen, die in der amerikanischen ôffentlichkeit, gelinde gesagt, Mißfallen erregt haben. Die Entscheidung fiel in einer Nacht-und Nebel-Sitzung. Seit kurz danach noch ruchbar wurde, daß viele Abgeordnete jahrelang ihre Konten bei der eigens für Volksvertreter installierten Bank des Capitols gebührenfrei überzogen haben, sind die Parlamentarier in der öffentlichen Meinung vollends unten durch. Watson könnte so zum Volksheld werden.
Dem Madison-Zusatz hatten bis 1791 nur sechs Staaten zugestimmt, dann war er in Vergessenheit geraten. Auch damals war eben nicht jeder Abgeordnete so wie Madison ein wohlhabender Plantagenbesitzer, nicht angewiesen auf öffentliche Alimentation.
1873 stimmte Ohio dem Verfassungszusatz zu. Damit waren es sieben. 1978 kam Wyoming hinzu, und dann trat Watson auf den Plan. Eigenhändig schrieb er die Gesetzgeber in den Einzelstaaten an. 6000 Dollar, sagt Watson, habe er seither in die Schreiberei und Porto investiert. Mit dem Erfolg, daß zunächst Maine zustimmte, 1983, und dann ging es Schlag auf Schlag. Michigan, am Donnerstag dieser Woche, war der entscheidende, der 38. Staat.
Was Watson aber am meisten freut: Vor zehn Jahren hat er in einer studentischen Seminararbeit erstmals behauptet, Madisons Verfassungszusatz sei wiederbelebbar. Sein Professor war anderer Meinung, gab dem jungen Mann eine mäßige Note und weckte damit dessen Ehrgeiz. Jetzt hat es Watson nicht nur dem Kongreß, sondern vor allem seinem alten Lehrer gezeigt.

Kommentare sind geschlossen.
    Loading
    Getty

    Archiv

    April 2020
    April 2019
    Februar 2019
    Mai 2018
    März 2015
    Januar 2015
    Oktober 2013
    Juli 2013
    April 2013
    Juni 2012
    Januar 2012
    Dezember 2011
    September 2011
    August 2011
    Juli 2011
    Mai 2008
    Dezember 2000
    November 2000
    Februar 1996
    Januar 1996
    Dezember 1995
    November 1995
    Oktober 1995
    Dezember 1992
    Oktober 1992
    September 1992
    August 1992
    Juli 1992
    Juni 1992
    Mai 1992
    April 1992
    Januar 1990

    Kategorien

    Alle
    Außenpolitik
    Bildung
    Bonn
    Ernährung
    Europa
    Fdp
    Frankreich
    Glossen
    Integration
    Irak
    Kommentare
    Kultur
    Leitartikel
    Medien
    Nachrufe
    Nahost
    Nato
    Rechte
    Religion
    Reportagen
    Rezensionen
    Ruhr
    Soziales
    Spd
    Sport
    Terror
    Umwelt
    Usa
    Verkehr
    Vorwärts
    Vorwärts
    Wirtschaft
    Zeit Artikel

    Downloads

    Die kompletten Jahrgänge 
    1992, 1993, 1994, 1995 sind als unformatierte txt. Dateien (Fließtext) erhältlich.

    Disclaimer

    Viele der hier verfügbaren Texte sind nicht end-redigiert. Sie können Fehler enthalten, die in der Druckfassung korrigiert worden sind. Das trifft insbesondere auf die Beiträge aus den Jahren 1992-2000 zu (USA-Berichterstattung). Das Copyright zu allen hier verfügbaren Texten und Fotos liegt beim Autor beziehungsweise bei den Fotografen. Wer Fotos oder Texte, im Ganzen oder teilweise, kopieren oder sonstwie publizistisch verwenden will, bedarf dazu der ausdrücklichen Einwilligung des Autors beziehungsweise des Fotografen.

Powered by Create your own unique website with customizable templates.