Aktualisiert 6. März 1987 07:00 Uhr Von Uwe Knüpfer
Was unterscheidet Bier von Cola? Von Bier kann jeder Mensch nur begrenzte Mengen trinken. Cola dagegen und überhaupt Softdrinks, also all jene gesüßten und aromatisierten Wässerchen, die früher mal als Limonaden firmierten, kennen angeblich keine Grenzen des Durst-Wachstums. David Reese jedenfalls glaubt das felsenfest. Diese Uberzeugung ist sozusagen seine Geschäftsgrundlage. Reese ist ein mittelständischer amerikanischer Pepsi-Fabrikant, und die Finanzierung seines Firmengebäudes beruht auf der Annahme, der Softdrink-Verbrauch seiner Landsleute werde stetig weiter wachsen. Wie seit nun schon 138 Jahren.
Viel mehr als Whiskey oder sonstwas ist Limonade das Getränk Amerikas. Lange bevor Coca-Cola und später Pepsi kamen, den Markt an sich rissen und die Produktion industrialisierten, braute jede Familie ihr eigenes Prickelgetränk, profitierten örtliche Kleinbetriebe vom Durst der Nachbarschaft. Die offizielle Verbrauchsstatistik der Branche jedenfalls reicht zurück bis 1849. Seither, das sollen die Zahlenkolonnen eindrucksvoll belegen, geht es mit den „weichen Getränken“ unaufhörlich bergauf.
Nur in einem einzigen Jahr tranken die Amerikaner pro Kopf weniger Softdrinks als im Jahr davor. Das war 1974, minimal, und wird verdrängt.
Lieber schon erinnert die Branche daran, daß jeder US-Bürger 1985 doppelt soviel Limonade wie Milch durch seine Kehle rinnen ließ und zwanzigmal soviel wie Wein. Im Durchschnitt, natürlich. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Denn offenbar gibt es noch immer auch in den USA Menschen, die lieber mit anderen Flüssigkeiten als Cola, Cherry-Cola, Diät-Cola, Zitronen- oder Orangenlimo ihren Durst löschen. Auch darauf bauen Unternehmer wie David Reese ihre Wachstumshoffnungen: „Wer sagt denn, daß man zum Frühstück Kaffee trinken muß oder Wein zum Essen? Der Trend geht ohnehin weg vom Alkohol. Und Softdrinks schmecken zu jeder Tageszeit und zu jeder Gelegenheit.“
Wenn es denn unbedingt sein müßte, würden Pepsi und Cola sicher auch Limonaden mit Kaffee- oder Weinaroma produzieren. Möglicherweise tun sie das auch schon. David Reese allein vertreibt 99 verschiedene Geschmacksrichtungen. Er erwähnt das nicht ohne Stolz.
Beinahe könnte man Reese für einen amerikanischen Bilderbuchunternehmer halten. Er ist jung, er ist dynamisch und ein Optimist. Die Wand hinter seinem Schreibtisch, wonin andere Manager einen Picasso-Druck hängen, ziert die realistische Wiedergabe eines Monopoly-Spielbrettes.
Was David Reese äußerlich vom Idealbild des US-Managers abhebt, ist allenfalls das Bäuchlein, das seinen Pullover unübersehbar strafft. Ihn persönlich scheinen die Diätsorten seiner Getränke wohl nicht überzeugt zu haben.
David Reese gibt sich gern hemdsärmelig. Im Betrieb überläßt er das Krawattentragen seinen leitenden Mitarbeitern. Der Betrieb: Vater Reese hat ihn vor zwanzig Jahren gekauft, 1967 haben David und sein Bruder ihn geerbt. Er besteht im wesentlichen aus einer kastenartigen Fabrik mit großem Höf. Die wiederum dominiert das Ortsbild der kleinen Gemeinde Kecksburg inmitten der sanftgewellten Laurel Highlands, westliches Pennsylvanien.
Das modernste an ihm ist die Datenverarbeitung: kein Büroraum ohne Computeranschluß. Die Abfüllmaschinen in der großen Halle dagegen rattern und dampfen bar jeden Yuppie-Schicks. Und ein nahezu vorkapitalistisches Idyll tut sich auf beim Betreten der Garage.
Drei ältere Mechaniker machen Pause. Der Werkstattchef sieht so aus, als hätte er schon in der ersten Folge von „Lassie“ die Rolle eines älteren Mechanikers gespielt, dessen Anblick jedermann davon überzeugt, daß er alles, aber auch wirklich alles zu reparieren versteht – nach dem Motto: Kommt Zeit, kommt Rat. Er gehörte schon zum Betrieb, als David noch in den Windeln lag.
Der versichert, er habe das natürlich durchgerechnet. Aber die Unterhaltung der Werkstatt, die dafür sorgt, daß auch die betagtesten Lkw noch immer klaglos ihren Dienst tun, sei tatsächlich wirtschaftlicher als die regelmäßige Erneuerung des Wagenparks. Es scheint, als sei ihm das auch lieber so.
Die Computer in den Büros halten den Kontakt aufrecht zum Zeitgeist und zu den anderen Standorten der Reese-Company. Denn die besteht längst nicht mehr nur aus einer Fabrik. Und sie ist auch längst nicht mehr ein reiner Familienbetrieb.
Eine Wandkarte in Davids Büro zeigt die Einteilung der USA in Pepsi-Absatzgebiete. Farbig schraffiert sind die Markt-Regionen, die schon Reese und seinen Kompagnons gehören, fast zehn immerhin. Es sieht aus wie der Anfang eines Puzzles.
Die Riesen der Branche, allen voran Coca-Cola, haben seit Beginn dieses Jahrhunderts nämlich ihr süßes Imperium aufgebaut, indem sie erst die USA, dann die Welt in Absatzgebiete aufteilten. Für jedes vergaben sie nur eine Absatz-Lizenz, an einen sogenannten Franchise-Nehmer. Das hat sich jahrzehntelang bewährt, doch jetzt ist „der Softdrink-Markt in Bewegung“, so Reese. Seit gut zehn Jahren gleichen die Verkaufsgrenzen einem zu eng gewordenen Korsett.
Denn diese Grenzen waren orientiert am Straßennetz und an der Tatsache, daß die Endverbraucher sich ihre süßen Wasser pfandflaschenweise aus kleinen Mom-and-Pap-Shops holten. Die Zentrale liefert traditionell ihren Franchise-Nehmern nur das Konzentrat, den Markennamen und sorgt für die Werbung. Die Produktion und Verteilung war je dezentraler desto billiger – eine Formel, die nicht mehr stimmt, seit sich die Branche radikal auf Einwegbehälter umgestellt hat – auf Wegwerfflaschen und Dosen, die sich der Kunde inzwischen meist aus dem Supermarkt holt.
Doch nur wenn einer der regionalen Partner seine Lizenz verkauft, lassen sich größere Softdrink-Absatzgebiete schaffen. David Reese will unter denen sein, die auch im Jahre 2000 noch im Geschäft sind, dann aber „richtig“. Und so kauft er, was zu kaufen ist, auch wenn manchmal noch zwei oder drei andere Franchise-Gebiete zwischen der Neuerwerbung und seiner Stammregion liegen.
Dazu reichte das Ersparte der Familie nicht aus, trotz der offensichtlichen Investitionszurückhaltung im Stammbetrieb. Also haben die Reeses nach Partnern im nahen Pittsburgh gesucht. Sie fanden sie in Gestalt von gutverdienenden Business-Leuten und Rechtsanwälten, die sich vom Wachstumsoptimismus der Softdrink-Branche haben anstecken lassen. Die Beteiligung am Franchise-Monopoly mag ihnen, nebenbei, eine Art Glücksspielersatz sein.
Denn andere kaufen auch. Bis Ende 1986 war die Zahl der Coca-Cola-Verkaufsregionen in den USA von einstmals über 1000 auf nur noch gut 400 geschrumpft. Es ist ein Wettrennen darum, wer am schnellsten am größten wird – wie beim Monopoly. Denn für jeden Softdrink-Fabrikanten gilt, was David Reese so formuliert: „Preiswerter können wir nur werden, wenn die Produktionskosten sinken. Und die Produktionskosten sinken nur, wenn wir die Herstellung und Abfüllung zentralisieren.“ Also: größere Fabriken für größere Absatzgebiete.
Und preiswerter zu werden, also billiger als die jeweilige Konkurrenz, sei die Grundvoraussetzung für weiteres Wachstum. Jenseits aller tatsächlichen oder eingebildeten Geschmacksunterschiede zwischen den konkurrierenden Marken ist es nach der Marketing-Strategen fester Uberzeugung nämlich noch immer in erster Linie der Preis, der die Käufer ins „richtige“ oder „falsche“ Regal greifen läßt.
Die Kunst sei es deshalb nicht, die Menschen zum Trinken zu bewegen, sondern zum Kaufen. Wer in den Supermarkt geht, um eine Dose zu erwerben, sollte ihn verlassen mit dem preiswerten Zwölferpack unterm Arm, Tag für Tag. „The more I can get you to buy, the more you will drink“, zitiert David Reese das Glaubensbekenntnis der Softdrink-Branche: Je mehr ich Dir aufschwatzen kann, desto mehr wirst Du trinken.“
- Quelle DIE ZEIT, 6.3.1987 Nr. 11