Vielleicht hat Bill Clinton an Berlin gedacht, als er Fallschirmabwürfe von Hilfsgütern über entlegenen Teilen Bosniens ankündigte. Per Luftbrücke ließ der damalige US-Präsident Harry Truman 1948 die Westberliner mit Lebensmitteln versorgen. Anderenfalls wäre wohl auch der Westsektor der Stadt in die Hände der Sowjets gefallen. Trumans Entscheidung machte Geschichte.
Die Luftbrücke brachte reale Hilfe und war zugleich ein Symbol für Durchhaltewillen und Moral des Westens. Die geplanten Fallschirmabwürfe über Bosnien haben den gleichen Zweck, versichert die Clinton-Regierung.
Im Weißen Haus war man offenkundig überrascht, daß diese Sichtweise nicht überall geteilt wird. Als Clinton am Wochenende die Hilfsflüge ankündigte, hieß es, schon am Montag sei mit einer formalen Entscheidung zu rechnen, und es würden nicht die Amerikaner alleine sein, die fliegen. Dann hagelte es Bedenken. Von einer Beteiligung der Briten oder Franzosen ist inzwischen keine Rede mehr. Vielleicht machen ja die Deutschen mit. Am Freitag kann sich US-Außenminister Christopher mit seinem Kollegen Kinkel darüber unterhalten. Sie treffen sich beim Nato-Rat in Brüssel.
Die Militärplaner im Pentagon fürchten seit langem, von Politikern in den Bürgerkriegssumpf auf dem Balkan hineingetrieben zu werden. Sie bestehen darauf, daß die C-130-Transportflugzeuge in gut dreitausend Meter Höhe fliegen, wenn sie ihre Container fallen lassen. Zielgenau sind Abwürfe aber nur, wenn die Maschinen sehr niedrig fliegen; in etwa hundert Meter Höhe.
Doch dann wären sie ein leichtes Ziel für Heckenschützen aller Art. Seien es Serben, die in den Flügen eine Parteinahme für den Gegner sehen, seien es Moslems oder Kroaten, die Interesse daran haben, den Serben Angriffe auf amerikanische Flugzeuge in die Schuhe zu schieben. Die Moslems drängen Washington seit langem, militärisch Partei zu ergreifen.
Die Clinton-Regierung ist nun seit Tagen damit beschäftigt, den Verbündeten, den UN, den Bürgerkriegsparteien und vor allem den eigenen Generälen zu versichern, sie sei nicht darauf aus, eine Provokation zu provozieren. Clinton selber beteuerte, die geplante Aktion sei „rein humanitär“ und „in keiner Weise“ ein Schritt in Richtung aktive US-Kriegsbeteiligung.
Im Wahlkampf jedoch hat Clinton anders geklungen. Mehrfach verlangte er die militärische Sicherung des Flugverbotes. Vielerorts wurde deshalb mit dem Amtswechsel in Washington die Erwartung verbunden, daß die Amerikaner nun auf dem Balkan dazwischenschlagen würden. Doch dann benannte Clinton stattdessen einen eigenen Friedensunterhändler und unterstützte den Vance/Owen-Plan. Nun hat der Präsident Mühe zu erklären, daß die Aktion Fallschirmabwurf keine Rückkehr zu seiner Vor-der-Wahl-Balkanpolitik darstellt.
UN-Generalsekretär Boutros-Ghali und den britischen Premierminister Major hat er in langen Vier-Augen-Gesprächen davon offenkundig überzeugen können. Boutros-Ghali legte nach seinem Gespräch mit Clinton besonderen Wert auf die Feststellung, daß die Flüge unter UN-Aufsicht stattfinden und somit nur eine Verlängerung der Luftbrücke nach Sarajewo darstellen.
Vor allem dürfte den Generalsekretär beruhigt haben, daß Washington von der Idee Abstand genommen hat, die Transporter zu ihrem Schutz von Kampfflugzeugen begleiten zu lassen. Das hätte allzusehr danach ausgesehen, als warteten die USA nur auf eine Provokation.
Offiziell heißt es in Washington nun, die Begleitung sei militärisch unsinnig. Weil die C-130-Flugzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 621 km/h fliegen, die viel schnelleren Kampfflugzeuge also jeweils entweder um Meilen voraus oder hintab wären, wenn eine C-130 vom Boden aus beschossen würde. „Es gibt keinen Weg, den Schützen auszumachen, Ziel zu nehmen und zurückzuschlagen,“ versicherte ein Ex-Air-Force-General, den das Pentagon an die Interview-Front geschickt hat.
Washington hätte gern, daß sich die Russen an der Luftbrücke beteiligen. Bisher hat deren Bosnien-Beauftragter Churkin aber nur grundsätzlich der Aktion zugestimmt und versprochen, die Serben nach Möglichkeit stillzuhalten. Jedenfalls sagte Churkin das der Washington Post.
Eine russische Beteiligung an den Hilfsflügen wäre aus Sicht des Weißen Hauses das klarste denkbare Signal, daß die Aktion Fallschirm kein Schritt zur Eskalation des Krieges ist, sondern eine für Frieden und Moral. Die Bürgerkriegsparteien könnten dann womöglich endlich erkennen, hofft Clinton, daß der einzige Weg zur Beendigung des Krieges über den Verhandlungstisch führt.
Schließlich hat ja auch die Berliner Luftbrücke keinen Krieg ausgelöst, sondern die Sowjets einlenken lassen.
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