Uwe Knüpfer
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Die Uno und Jugoslawien - Reibereien zwischen Boutros Ghali und dem Sicherheitsrat

7/8/1992

 
Alle Welt redet darüber, was die Uno in Jugoslawien tun "muß". Der UN-Generalsekretär denkt anders darüber. Für Boutros Boutros-Ghali ist die Rangordnung eindeutig: "Regionale Organisationen wie die Europäische Gemeinschaft oder die Westeuropäische Union haben den Vereinten Nationen zu Diensten zu stehen, nicht umgekehrt."
Der 69jährige Ägypter, seit gut einem halben Jahr im Amt, pflegt eine unmißverständliche Sprache. Eine Sprache, die mancher Berufsdiplomat schockierend findet. "Kolonialismus" bestimme noch immer das Denken mancher Mitglieder im Weltsicherheitsrat, hat der neue Generalsekretär einmal gesagt. Bitterböse Artikel vor allem in der britischen Presse waren die Folge. Boutros-Ghali beharrt: "Zu bestimmten Zeiten muß man diplomatisch sein, zu bestimmten Zeiten darf man nicht diplomatisch sein."
Es ist nicht nur die Sprache. Boutros-Ghalis Vorgänger Perez de Cuellar verstand sich zweifellos mehr als Sekretär der Uno, Boutros-Ghali legt größere Betonung auf den General in seinem Titel. Er übernahm den Posten am East River in New York zu einem Zeitpunkt, da die Bedeutung der Uno wuchs. Im Kalten Krieg zwischen den Blöcken oft wie gelähmt, erwarten jetzt viele von ihr, daß sie in die Rolle einer Weltregierung hineinwächst. Oder zumindest in die Rolle einer Welt-Feuerwehr, die überall löscht, wo regionale Konflikte, wo Bürgerkriege entbrennen.
Boutros-Ghali förderte zunächst olche Erwartungen. Unter dem Eindruck seines neuen Amts begann er aber bald zu bremsen.
Er trat an, die schwerfällige Bürokratie der Mammutbehörde zu entschlacken. Beherzt hat er während der ersten Monate seiner Amtszeit die Zahl der ihm direkt untergeordneten stellvertretenden Generalsekretäre von 28 auf acht beschnitten. Den in jeder Behörde stets so wichtig genommenen endlosen internen Sitzungen bleibt er häufig fern. Seine Zeit sei knapp, seine Aufgabe groß, sagt Boutros-Ghali.
All das hat ihn innerhalb der Weltorganisation nicht bei jedem beliebter gemacht. Nicht bei jenen seiner Stellvertreter, die nun nicht mehr zum engeren Führungskreis gehören. Und auch nicht bei den UN-Botschaftern, die sich in ihrer eigenen Wichtigkeit nicht mehr immer genügend beachtet finden. Statt mit UN-Botschaftern zu konferieren, pflegt der Generalsekretär gern den kurzen Draht zu den Außenministern. Viele kennt er noch aus seiner Zeit als ägyptisches Regierungsmitglied.
Bei allem Elan hat Boutros-Ghali schnell lernen müssen, wie begrenzt seine finanziellen Mittel sind. Die Uno ist notorisch knapp bei Kasse. Vor allem ihr größter Geldgeber, die USA, hält die Weltorganisation seit Jahren finanziell an der kurzen Leine. Wer will, daß die Uno immer mehr Blauhelme oder sogar kämpfende Truppen in alle möglichen Weltgegenden entsendet, argumentiert Boutros-Ghali, muß ihr mehr Geld geben. In diesem Jahr werden die friedenserhaltenden Truppen der Uno in Jugoslawien, Somalia, dem Libanon und auf Zypern zusammen rund drei Mrd Dollar kosten. Das wäre eine Vervierfachung gegenüber dem Vorjahr.
Der Generalsekretär weiß nicht, woher er das Geld nehmen soll. Deshalb hat er den Europäern rundweg erklärt: Wenn sie mehr Soldaten auf den Balkan schicken wollen, sollen sie das auf eigene Kosten tun.˙  Boutros-Ghali hält die UN ohnehin für "eurozentriert". Der großen Aufmerksamkeit, die dem Konflikt im früheren Jugoslawien gilt, hält er das weitgehende Desinteresse der Weltöffentlichkeit am Bürgerkrieg in Somalia entgegen. Und er macht die einfache Rechnung auf: "Wenn wir uns stärker in Jugoslawien engagieren, geht das auf Kosten anderer Aktivitäten."
Das "wirkliche Problem" des nächsten Jahrzehnts liege nicht auf dem europäischen Kontinent, das wirkliche Problem seien die Nöte der Dritten Welt; nicht nur Kriege und Flüchtlingswewegungen, sondern auch Hunger und Trockenheit.
Boutros-Ghali ist der erste Afrikaner auf dem Stuhl des UN-Generalsekretärs, und er gibt sich entschlossen, seinen globalen Auftrag ernst zu nehmen. Schluß zu machen mit der Sichtweise europäischer und amerikanischer Medien und Politiker, wonach Brandherde umso schlimmer sind, je näher sie an Europa, Nordamerika oder strategischen Ölquellen liegen.
Die Frage ist, ob er das wird durchhalten können. Ob er das diplomatische Geschick aufbringt, die Industriestaaten gleichzeitg vor den Kopf stoßen und ihnen mehr Geld und Einfluß abringen zu können. Schon dringt aus "UN-Kreisen" absichtsvoll vernehmbar gemachtes Gegrummel, Boutros-Ghali werde womöglich seine erste Amtsperiode nicht überstehen.


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