Am liebsten läßt er sich "Chief" nennen. Darin ist alles enthalten: Boss, Anführer, Häuptling. Daryl Gates, 64, durchtrainiert, braungebrannt, blauäugig, muß furchtbar gelitten haben seit den Unruhen von Los Angeles. Weniger, weil der Auslöser der Krawalle die Tatsache war, daß vier seiner Männer einen schwarzen Verkehrssünder blutig geprügelt haben. Nein, Gates litt darunter, in den Augen der öffentlichkeit versagt zu haben. Der Polizeichef von Los Angeles war auf einer Party, als das Plündern begann.
Jetzt schlug Gates zurück. Höchstpersönlich, im schwarzen Polizeidreß, die Pistole locker an der Seite, überwachte er die Verhaftung eines jungen Schwarzen. "Chief Gates," soll Damian "Football" Williams, 19, gestaunt haben, "ich dachte, Sie gehen." Gates muß im Sommer sein Amt vorzeitig niederlegen, wegen der Prügelbilder von seinen Beamten. "Ich sagte," so schilderte der Noch-Polizeichef die Verhaftungsszene kurz darauf in einer eilig einberufenen Pressekonferenz: "Ja, Football - aber Du gehst zuerst."
Noch zwei weitere Schwarze wurden verhaftet, einer stellte sich freiwillig. Die vier sollen es gewesen sein, die den weißen Lkw-Fahrer Reginald Denny am ersten Tag der Unruhen, 90 Minuten nach dem Freispruch für die vier weißen Polizisten, aus seiner Fahrerkabine gezerrt, geprügelt, getreten und ausgeraubt haben. Wie vor einem Jahr die brutale Verhaftung des Schwarzen Rodney King wurde auch diese Prügelszene gefilmt. Kaum ein Amerikaner, der sie nicht in- und auswendig kennt.
Gates hat seinen ganzen Ehrgeiz darangesetzt, die Täter zu identifizieren und zu erwischen. Tagelang patroullierten Polizeistreifen durch jene Straßen, wo der Vorfall sich ereignete. Sahen die Beamten einen verdächtig wirkenden jungen Schwarzen, sprangen sie aus dem Auto, zwangen den Verdächtigen, Schuhe und Socken auszuziehen und drohten zu schießen, wenn sie nicht auf der Stelle die Namen der Männer erführen, die über Denny hergefallen sind.
Mark Jackson, WilliamsØ älterer Bruder, auch er wurde erst verhaftet, dann aber wieder freigelassen, schilderte die Jagdszenen so: "Das Schlimmste war, daß meine vierjährige Tochter danebenstand, als sie mir ihre Pistolen an den Kopf drückten. Die Kleine schrie, "Bitte bringt meinen Daddy nicht um!"
Kaum einer, der nicht gutheißt, daß die Täter geschnappt und bestraft werden, die Denny fast zu Tode schlugen. Nur kommt durch die Umstände der Verhaftung und durch GatesØ provozierendes Auftreten auch die Erinnerung wieder hoch an den Freispruch für die weißen Polizisten. Zu sehr gleichen sich die Bilder, zu auffällig ist zugleich der eine, aber entscheidende Unterschied.
Zweimal wurde ein Autofahrer gestoppt, zweimal wurde ein Hilfloser erbarmungslos malträtiert, zweimal waren die Täter zu vieren. Nur: Einmal war das Opfer schwarz, die Täter waren weiß und wurden freigesprochen. Dann war das Opfer weiß, die Täter waren schwarz, und die Polizei demonstrierte Härte.
"Die vier Bullen sind freigekommen, aber welche Chance hat mein Bruder, freizukommen," fragt Jackson, Wut im Blick, und fügt hinzu: "Jeder kennt die Antwort. Er ist schwarz."
Cassandra Johnson, eine schwarze Bürgerechtlerin, sieht das ähnlich: "In den Vierteln der Schwarzen ist die Polizei eine Besatzungsmacht." Wie sie befürchten jetzt viele Politiker, daß GatesØ Polizeiaktion alle Anstrengungen torpedieren könnte, die von den Unruhen zerrissene Nation wieder zusammenzuschweißen.
Der Schreck über die Ereigisse von Los Angeles hat nämlich vorerst zu einem ungewöhnlichen Schulterschluß zwischen Schwarzen und Weißen, zwischen Republikanern und Demokraten geführt. Präsident Bush und führende Oppositionspolitiker haben sich gar auf einen, allerdings noch nicht finanzierten, Sechs-Punkte-Plan zur Rettung der Innenstädte geeinigt.
Mark Jackson, der erst Verhaftete, dann wieder Freigelassene, droht, eines Tages werde Gates das Lachen vergehen: "Die Banden schließen sich zusammen. Wir sind fertig mit der weißen Justiz."
Einstweilen aber lacht Gates in die Kameras und brüstet sich damit, einem der mutmaßlichen Tätereigenhändig die Handschellen angelegt zu haben.
Zeugen berichten allerdings, der "Chief" habe sich bei der Aktion im Hintergrund gehalten. Er sei erst aufgetaucht, als die bestellten Fernsehteams erschienen.
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