Murphy Brown ist populärer als Dan Quayle. Dan Quayle gibt es wirklich; er ist Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Er ist ein Anhänger überkommener Werte, also das, was man einen Konservativen nennt. Außerdem sieht er gut aus. Aber Murphy Brown sieht besser aus.
Murphy Brown gibt es nicht wirklich. Murphy Brown, das ist so etwas wie eine amerikanische Lindenstraße. 38 Mio Amerikaner sahen zu Beginn dieser Woche zu, wie die Hauptperson der Fernsehserie, Murphy eben, ein Baby bekam. Was heißt, sie sahen zu? Sie litten mit - so wie ein werdender Vater vor der Tür zum Kreißsaal.
Was schon deshalb nötig war, weil Murphys Baby zwar einen "Erzeuger" hat, aber keinen Vater. Murphy Brown, gespielt von Candice Bergen, ist eine alleinerstehende, erfolgreiche Fernsehjournalistin, die sich vorgenommen hat, Karriere und Mutterschaft unter einen Hut zu bringen, ohne Mann.
Das ist in Amerika nicht ungewöhnlich. Die meisten Frauen hier sind berufstätig oder wären es gern, gäbe es nicht eine hohe Arbeitslosenquote. Auch Dan Quayles Frau hat einen Beruf erlernt, Anwältin. Neulich hat sie sogar einen Spionageroman geschrieben. Um, wie sie sagte, die Haushaltskasse etwas aufzubessern. Dabei versucht ihr Gatte schon, Dienst- und Privatreisen so geschickt zu kombinieren, daß er auf wechselnden Plätzen seinem Hobby, dem Golfspiel, frönen kann, ohne die Reisekosten zu bezahlen.
Am Dienstag war er in Kalifornien. Nicht um Golf zu spielen, wie es hieß, sondern um die Schäden der Unruhen in Los Angeles in Augenschein zu nehmen. Anschließend erklärte er, das alles hätte nicht so kommen müssen - die Plünderungen, die Morde dort -, wäre die amerikanische Familie noch intakt. So wie seine eben. Und es sei "nicht hilfreich", wenn im Fernsehen Reklame gemacht wird für ein Familienleben ohne Vater.
Quayle spielt nicht nur Golf, er macht auch Wahlkampf. Für George Bush, der im November als Präsident wiedergewählt werden will. Mit Dan Quayle an seiner Seite. Die Familie hochzuhalten, glaubte Quayle, glauben auch Bushs Berater im Weißen Haus, ist wählerwirksam. Auf jeden Fall ist es preiswerter, als teure Arbeitsbeschaffungsprogramme aufzulegen für die verwahrlosten Innenstädte.
Kaum waren Quayles Worte hinausgetragen worden in die Nachrichten, brach eine Welle der Empörung über Washington zusammen. Murphy Brown ist eben populär. Die Fernsehnation wünscht ihr und ihrem Baby nur das Beste, und daß sie es schafft, allein. Vielleicht wünschen ihr manche auch, daß sie doch noch einen Ehemann findet. Dann aber keinen wie Dan Quayle. Der war noch nie beliebt, jetzt ist unten durch.
Quayle beeilte sich, am nächsten Tag den Schaden wiedergutzumachen. "Ich habe größten Respekt vor alleinerziehenden Müttern. sie sind wahre Helden," bereute er. Und Bush-Sprecher Fitzwater verkündete hochoffiziell, die Murphy-Brown-Show stehe für Werte, "die wir für gut halten". Schließlich hat Murphy nicht abgetrieben.
Bush kann von Glück sagen, daß sein Gegner bei der Wahl im November Bill Clinton heißen wird oder vielleicht auch Ross Perot. Aber wer weiß, was 1996 sein wird. Für die Republikaner möchte dann gerne Quayle ins Rennen gehen.
Wenn die Demokraten klug sind, stellen sie Murphy Brown als Gegenkandidaten auf.
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