George Bush ist ein Mann mit vielen Adressen. Als Präsident der Vereinigten Staaten wohnt er an der Pennsylvania Avenue zu Washington, die Wochenenden verbringt er in seinem 26-Zimmer-Ferienhaus in Kennebunkport, an der Küste von Maine. Aber in Houston, in Texas, sagt George Bush, da ist er zuhause.
"Du kommst hierhin und fühlst, etwas geschieht," strahlte Bush am zweiten Tag des Parteikongresses der Republikaner. Da auf amerikanischen Parteitagen tagsüber, wenn niemand fernsieht, nicht viel passiert, tourte der Präsident durch seine Wahlheimat. Der Reporter tourte hinterher. George Bushens Worte im Ohr: "Du fühlst etwas positives."
Zunächst fühlt der Reporter wenig, jedenfalls nichts positives, denn es geschieht nichts. Er steht im Stau. öber ihm kreisen Hubschrauber, vor ihm kreisen Polizeilichter, irgendwo am Horizont rast eine Kavalkade schwarzer Limousinen vorüber: Der Präsident geht essen.
Am liebsten, heißt es, ißt er bei Otto. Otto„s Barbecue sieht von vorne aus wie eine Tankstelle und von hinten wie eine Tankstelle von hinten. Nur daß dort Resopaltische stehen und angeschraubte Stühle. Hier speist man mit den Fingern, billig und deftig. Der Präsident entschied sich für die "Gemischte Platte", Würstchen und Rindfleisch. Aus Zeitungsausschnitten, die an der Wand hängen, geht hervor, daß er am allerliebsten eigentlich die gegrillten Schweinerippchen mag. Dazu gibt es geschmorte rote Bohnen und Krautsalat. Und Bier. Der Präsident nahm Eistee.
Wer Bush-Fans sucht, bei Otto kann er sie finden. Alle Angestellten tragen Baseball-Käppis mit dem Aufdruck: "Otto„s - BBQ-Bier-Bush". BBQ heißt Barbecue.
Der junge Mann mit langem Haar, der einmal Bushs Nachbar werden könnte, trägt kein Käppi und wirkt eher gelangweilt. "Ja, das ist das vom Präsidenten," ringt er sich ab, ehe er verschwindet; in einem etwas windschiefen Haus. Die Straße, West Oak Lane South, hat große Schlaglöcher. Ein Grundstück, Nummer 9, ist unbebaut. Es gehört George Bush. Unter Eid hat er dem Finanzamt geschworen: "Nach Beendigung meines öffentlichen Dienstes in Washington, D.C., ist es unser Wille, nach Houston zurückzukehren und zu jenem Zeitpunkt auf jenem Grundstück ein Einfamilienhaus zu errichten."
Aha, hier also will der 41. Präsident der Vereinigten Staaten seinen Lebensabend verbringen. Früher oder später - je nachdem, wie die Wähler im November entscheiden.
Ruhig ist es. Nur Eichhörnchen huschen von Baum zu Baum. Die Parzelle ist so schmal, daß gerade zwei Autos davorpassen. Bushs Tennisplatz in Kennebunkport dürfte weitläufiger sein.
Hier ein bescheidenes Häuschen zu bauen, müßte erschwinglich sein für die Familie Bush. Zumal der Präsident schon mehr als 200000 Dollar an Steuern gespart hat, seit er jenen Eid geleistet hat. (So etwas steht in den USA in der Zeitung.) In Texas zahlen Bürger keine Einkommensteuer. Bürger ist, wer einen ständigen Wohnsitz in Texas nachweisen kann und glaubhaft versichert, er wolle hier später einmal ständig residieren. So wie George Bush.
Sein ständiger Wohnsitz ist das Houstonian, ein unauffälliges Hotel nicht weit vom künftigen Refugium. Es liegt hinter einer Koppel. Hier hält die örtliche Polizei ihre Pferde. Die Suite 271 haben die Bushs ganzjährig gemietet. Zu welchem Preis, ist unbekannt. Jedenfalls hat es dem Besitzer des Hotels nicht geholfen. Er hat sich kürzlich für Bankrott erklärt.
Vom Houstonian ist es nicht weit zu "Rice", dem Supermarkt, wo die Bushs einkaufen, wenn sie in Houston sind. Heißt es. Es heißt ja auch, der Präsident sei überrascht gewesen, als er im Vorwahlkampf in einem anderen Supermarkt eine Computerkasse mit Scanner sah. Angeblich erstmals im Leben. öbelwollende Pressemenschen haben ihm das als Weltfremdheit angekreidet, nach dem Motto: Der Präsident weiß nichts vom wirklichen Leben. Also, irgendwetwas stimmt hier nicht, denn der Reporter kann bezeugen: Auch im "Epicurean Market" von "Rice" wird per Scanner kassiert.
Inzwischen ist der Weg frei zu Otto„s. Der Präsident ist weitergezogen, zu einer privaten Party mit seinen 300 engsten Houstoner Freunden, im Museum der Schönen Künste. Bei Otto nagen jetzt wieder Familien mit Kindern an ihren Schweinerippchen, außerdem einige auffällig gekleidete Paare - und der Reporter aus Deutschland. Tief über seine Barbecuesoße gebeugt, mit einem Knorpel ringend, gelangt er zu der Einsicht, daß es in diesem Lokal dicke Menschen gibt und dünne. Die dünnen tragen alle gepflegte Frisuren, außerdem Buttons, Schildchen oder patriotische Hüte: Mhm, Parteitagsdelegierte. Während sie Schlange stehen - bei Otto herrscht Selbstbedienung -, lesen sie die Zeitungsausschitte an der Wand. Während sie kauen, blicken sie um sich, wie der Reporter. Die Dicken essen nur.
Wie hatte der Präsident gesagt? "Du kommst hierhin und fühlst, etwas geschieht." Jawohl, jetzt fühlt es auch der Reporter. Er hat sich bekleckert.
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