Als letzte Mahlzeit wünschte er sich Pepperoni-Pizza und Zitronenlimonade. Am Mittwochabend um 23.38 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit wurde Roger Keith Colemans Tod amtlich festgestellt. Der Bergmann aus der Kleinstadt Grundy war der 248. Verurteilte, der auf dem elektrischen Stuhl des US-Staates Virginia hingerichtet wurde. Vor elf Jahren soll Coleman seine 19jährige Schwägerin Wanda McCoy brutal vergewaltigt und ermordet haben. Er beteuerte bis zuletzt seine Unschuld. Vergeblich.
Vergeblich blieben auch alle Bemühungen von Anwälten und Priestern, den Hinrichtungstermin zumindest aufzuschieben. 14 TV-Übertragungswagen fuhren vor dem Gefängnis auf, Menschen mit brennenden Kerzen in den Händen hielten Mahnwachen ab. Tausende von Bürgern riefen den Gouverneur des Staates an oder schrieben Briefe, um einen möglichen Justizirrtum zu verhindern. Gouverneur Wilder hätte Coleman begnadigen können. Er tat es nicht.
Wilder überzeugten offenbar mehr jene 247 Briefe aus Grundy, in denen Colemans Tod gefordert wurde. Für seine Mitbürger war der heute 33jährige von Anfang an der Schuldige. Das Urteil fiel schnell, in einem Indizienprozeß. Der arbeitslose Coleman hatte kein Geld, sich einen teuren, auf Mordsachen spezialisierten Anwalt leisten zu können. Erst als sich Wochen vor der Hinrichtung die Medien für den Fall zu interessieren begannen, fanden sich Anwälte, die Colemans Sache übernahmen; umsonst, beziehungsweise zum Preis des Ruhms.
Gegen Coleman sprachen vor allem ein Bluttest und seine Vergangenheit. Mit 17 Jahren war er wegen versuchter Vergewaltigung an seiner Lehrerin verurteilt worden. Für ihn sprach eine Reihe von Indizien, die erst nach dem Prozeß in die Diskussion kamen. Den Aussagen von Zeugen zufolge, die ihn am Tatabend an anderen Orten sahen, hatte er höchstens eine halbe Stunde Zeit, ein Wäldchen zu durchqueren, durch einen Bach zu waten und die Tat zu vollbringen. Vor allem: Seine Schuhe und Socken waren trocken. Doch sein junger Pflichtverteidiger versäumte die Frist zum Wiederaufrollen des Prozesses - um einen Tag. Unter Hinweis auf diesen formalen Fehler lehnte es auch der Oberste Gerichtshof ab, das Urteil zu revidieren.
Am Mittwochmorgen wurde Coleman heimlich nach Richmond, in die Hauptstadt von Virginia, transportiert. Er unterzog sich einem Test am Lügendetektor. Gouverneur Wilder hatte ihm das nahegelegt. Eventuell, deutete er an, könnte er bei positivem Ausgang des Tests seine Meinung revidieren. Kreidebleich, schweigsam, offenbar völlig am Ende wurde Coleman anschließend ins Gefängnis zurückgebracht. Der Automat sagte: Coleman lügt. Die Anwälte verwiesen auf den Streß, unter dem der Todeskandidat stand. Seit Wochenbeginn habe er insgesamt kaum zehn Stunden geschlafen. Rund um die Uhr gab Coleman Interviews. Auf allen Kanälen, in allen Zeitungen war sein Bild.
Im Gefängnis begannen die Vorbereitungen für die Hinrichtung. Coleman durfte sechs Stunden mit seiner Freundin Sharon Paul zusammen sein, beobachtet nur durch ein verspiegeltes Fenster. Die beiden hatten sich aufgrund einer Anzeige des Häftlings 1983 kennengelernt. Aus einer Brieffreundschaft wurde Liebe. Erst im März hatten sie sich zum ersten mal die Hand geben können.
Um 18 Uhr rasierten Beamte Colemans Kopf und Handgelenke kahl. Dann kam die Henkersmahlzeit.
Für 23 Uhr (fünf Uhr am Donnerstagmorgen nach mitteleuropäischer Zeit) war die Hinrichtung angesetzt. Bis zur sprichwörtlich letzten Minute konnte Coleman auf einen Aufschub hoffen. Erst um 22.59 Uhr entschied der Oberste Gerichtshof endgültig: kein Aufschub. Mit 7:2 Stimmen. Coleman wurde auf dem Todesstuhl festgeschnallt, eine Lederkappe über seinen Kopf gezogen. Eine halbe Stunde nach dem Spruch des Gerichtes jagten zwei Stromstöße durch Colemans Körper. Ein Krankenwagen transportierte seinen Leichnam ab.
Schon angeschnallt auf dem Stuhl meldete der Verurteilte sich ein letztes Mal zu Wort. Von einem Zettel las er ab: "Heute nacht wird ein Unschuldiger ermordet. Wenn eines Tages meine Unschuld bewiesen sein wird, hoffe ich, daß die Amerikaner die Ungerechtigkeit der Todesstrafe erkennen, so wie das alle anderen zivilisierten Länder schon getan haben. Meine letzten Worte gelten der Frau, die ich liebe: Liebe ist ewig. Ich liebe Dich, Sharon."
Kommentare sind geschlossen.
|
Loading Getty
Archiv
April 2020
Kategorien
Alle
DownloadsDie kompletten Jahrgänge DisclaimerViele
der hier verfügbaren Texte sind nicht end-redigiert. Sie können Fehler
enthalten, die in der Druckfassung korrigiert worden sind. Das trifft
insbesondere auf die Beiträge aus den Jahren 1992-2000 zu
(USA-Berichterstattung). Das Copyright zu allen hier verfügbaren Texten und
Fotos liegt beim Autor beziehungsweise bei den Fotografen. Wer Fotos oder
Texte, im Ganzen oder teilweise, kopieren oder sonstwie publizistisch verwenden
will, bedarf dazu der ausdrücklichen Einwilligung des Autors beziehungsweise
des Fotografen. |