Die Olympischen Sommerspiele 1996 finden in Atlanta statt. Oder nicht? Vielleicht finden sie auch in Coca-Colaville statt oder in Kelloggstown oder in GeneralMotorsCity, wer weiß. Je nachdem, welche Firma den Zuschlag erhält und Atlantas Namen kaufen kann. Vorausgesetzt, die Stadt ringt sich dazu durch, den revolutionären Vorschlägen ihres Marketing-Chefs Joel Babbitt zu folgen. Geld lockt, und Atlanta, wie fast alle Städte der USA, kann es dringend brauchen.
Die Stadt hat in Babbitt einen erfolgreichen Werbemanager angeheuert, der nun auf gewohnt kreative Weise neue Einnahmequellen auftun soll. Steuern und Gebühren zahlen die meisten Bürger nur höchst widerwillig, und in wirtschaftlich trüben Zeiten rollt der Steuerdollar besonders träge. Schulen, Straßen, Brücken aber wollen weiter unterhalten sein, und der Sozialetat wächst. Also hat sich Babbitt gefragt: Wie kann man Menschen und Firmen dazu bringen, freiwillig Geld ins Stadtsäckel zu stecken? Die Antwort fand er in der Welt des Sports und des Kulturbetriebs.
Sportarenen heißen in den USA längst nach großen Firmen. Sportler tragen Brust und Rücken für Nike, Adidas und gutes Geld zu Markte. Unternehmen schmücken sich gern mit der Aura großer Kunst - indem sie Ausstellungen sponsorn und dafür ihr Firmenlogo irgendwo dezent am Museum hängt. Was Museen und Fußballvereinen recht ist, sollte den gebeutelten Städten nur billig sei, meint Mr. Babbitt.
So hat er Atlantas Stadtvätern vorgeschlagen, die Namen von Straßen und städtischen Parks an Firmen zu verkaufen. Babbitt: „Es bringt uns keinen Cent ein, daß der Piedmont Park, der größte Park von Atlanta, Piedmont Park heißt. Ich glaube nicht, daß irgendjemand zu leiden hätte, wenn wir den Namen in Georgia-Pacific-Park umändern und wir eine Million Dollar pro Jahr dafür bekommen würden. Aber ich weiß, daß diese Millionen von Dollars einer Menge Lehrern und Obdachlosen helfen werden.“ Die Georgia-Pacific Corporation ist ein Holzverarbeitungsunternehmen.
Als ersten Schritt zur kommunalen Totalvermarktung hat die Stadt einen Vertrag mit einem großen Kreditkartenunternehmen abgeschlossen. Für drei Mio Dollar darf sich VISA jetzt die „offiziell bevorzugte Kreditkarte von Atlanta“ nennen. Das viele schöne Geld vor Augen hat ein Stadtverordneter prompt vorgeschlagen, doch konsequent weiterzugehen und auch den Namen der Stadt selber zu verkaufen: „Wir werden einfach Coca-Colaville.“ Der Brausehersteller hat schließlich seinen Sitz in Atlanta.
Soweit will Babbitt, bisher jedenfalls, gar nicht gehen. Dafür schwebt ihm vor, städtische Müllfahrzeuge für zahlungswillige Firmen Reklame fahren zu lassen. Noch ist unklar, ob sich auch dafür Interessenten finden.
Jedenfalls geht es seit Monaten hoch her im Gemeindesaal und in den Leserbriefspalten der örtlichen Zeitungen. Kritiker halten Babbitts Ideen schlicht für geschmacklos und unpatriotisch. Die Namen von Straßen und Plätzen seien schließlich ein Stück kommunaler Identität, sie vermittelten Heimatgefühl. Alles Schmus, halten Babbitt-Fans dagegen.
Joey Reiman, ein Werbe-Fachmann aus New York: „Nehmen sie den Columbus Circle“ - einen bekannten Platz in Manhattan - „Er ist nach einem Mörder benannt.“ Kolumbus habe, meint Reiman in werbetechnisch freier Zuspitzung der historischen Tatsachen, amerikanische Ureinwohner ermordet. Was also, fragt Reimann, wäre schlecht daran, den Namen des Amerika-Entdeckers durch ein Firmenlogo zu ersetzen - und mit dem Erlös den Stadtteil drumherum zu sanieren? Mr. Reiman jedenfalls glaubt, sein Kollege Babbitt sei sozusagen auf Öl gestoßen. Der Verkauf von Straßennamen ist in seinen Augen die städtische Finanzquelle der Zukunft.
Der Sprecher des US-Städtebundes, Frank Shafroth, möchte das auch gern glauben, ist aber skeptisch. Schließlich habe Atlanta etwas Besonderes zu verkaufen, meint Shafroth - eben weil dort 1996 die Olympischen Spiele stattfinden und die Kameras der Welt auf die Stadt gerichtet sein werden. Aber wer sei schon bereit, für abgelegene Straßenzüge in Brigdeport oder East St. Louis Dollarmillionen auf den Tisch zu legen? Ins Deutsche übertragen: Der Münchner Stachus verkauft sich halt besser als die Westtangente in Wanne-Eickel.
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