Er wünschte seinen Zuschauern "von Herzen eine Gute Nacht", dann trat er ab, die Tränen mühsam unterdrückend. Milionen von Amerikanern dürften wirklich geweint haben in diesem Moment. Die US-Fernsehgemeinde hatte der letzten "Tonight-Show - Starring Johnny Carson" förmlich entgegengezittert.
Dreißig Jahre lang hat die Carson-Show die USA in den Schlaf begleitet. Sie gehörte zum amerikanischen Leben wie der Straßenkreuzer, der Wolkenkratzer oder der Hot Dog. Doch Johnny Carson machte seine Ankündigung wahr. Amerika hat seit Samstag kein Sandmännchen mehr.
Die amerikanischen Autos sind kleiner geworden, auch Wolkenkratzer werden nur noch selten gebaut. Vielleicht ist die Johnny-Carson-Zeit tatsächlich vorüber. Aber wahrhaben will die Fernsehnation das nicht.
Johnny Carson ist mehr als ein Star in Amerika. "Er ist nicht schlicht ein Komödiant," schrieb die New York Times, "er ist ein Kontinuum." Etwas, das immer da war und immer da sein müßte.
Carsons Bekanntheitsgrad und vor allem seine Beliebtheit quer durch die Generationen übertreffen die jedes Präsidenten. Seine Rücktrittsankündigung löste im Blätterwald ein Erdbeben aus. Carson meinte, darüber sei mehr geschrieben worden als über den Zusammenbruch der Sowjetunion - und schon deshalb sei es gut, daß damit jetzt Schluß ist.
Knapp dreißig Jahre gab es die "Tonight-Show". 5000 mal hat Carson der Nation, stets um 00.30 Uhr, Gute Nacht gewünscht. Tausende von Gästen hat er begrüßt, und vielen von ihnen zur Karriere verholfen, Barbra Streisand etwa oder Eddie Murphy.
"Er regierte die Nacht", hat jemand über ihn geschrieben. Carson ironisierte gern, was aufregend war am vergangenen Tag - und machte es dadurch erträglicher. Für die Washington Post waren die Monologe, mit denen jede Carson-Show begann, nächtliche Erklärungen zur Lage der Nation, "aber lustiger als die wirklichen".
Als der Applaus nicht enden wollte am drittletzten Abend, sagte Carson, er komme sich vor wie der texanische Milliardär Ross Perot: "Ich habe noch nichts gesagt und werde schon gefeiert." Perot führt in vielen Meinungsumfragen vor Präsident George Bush, obwohl er weder seine Kandidatur bisher fest angekündigt, noch sich zu irgendeinem Thema festgelegt hat. Ins Gelächter hinein imitierte Carson quäkelnd die Stimme von Bush: "Ich finde das unfair. Schließlich habe ich zu jedem Thema vier Meinungen."
Im Weißen Haus dürfer man jetzt besser schlafen. Bonmots auf Kosten von Bush und seines Vize Quayle gehörten zuletzt zum festen Mobiliar jeder Carson-Show. Wenn Carson, was ihm nachgesagt wird, wirklich der "Mr. Mainstream" ist, die Stimme der amerikanischen Mittelklasse, hat Bush bei der Wahl im November praktisch keine Chance.
Carson hat vorgeführt, wie man aus ganz wenig ganz viel machen kann - gerade in der Fernsehunterhaltung. Schlichter als seine Show kann eine Fernsehshow kaum sein. Mehr als ein Vorhang, eine braune Theke, ein Sessel, eine Palme, eine Combo und ein Ansager gehörten nicht dazu. Alles, bis in Carsons unvermeidbare Keramik-Kaffeetasse, atmete den Geist der sechziger Jahre. Nur Carson selbst war stets auf der Höhe der Zeit.
Er war ein Gentleman, attestierten ihm noch die giftigsten Ferhsehkritiker. Carson war nie giftig, nie aufgeregt, nie intolerant, manchmal bitter, aber nie humorlos, manchmal albern, aber nie laut. "Es ist Zeit," kommentierte er seinen Abschied," ich sehe ja, wohin sich das Fernsehen entwickelt."
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