Was wäre, wenn Schergen des Iran Salman Rushdie aus London entführten? In Teheran wartet der Henker auf den Schriftsteller, im Einklang mit den dort geltenden Gesetzen. Die Welt würde - hoffentlich - aufschreien vor Empörung.
Denn auch für Staaten gelten Spielregeln. Dazu zählt: Kein Staat darf das Territorium eines anderen Staates verletzen, Hoheitsrechte sind zu respektieren.
Um dem Völkerrecht Geltung zu verschaffen, haben die USA vor einem Jahr einen blutigen Krieg gegen Saddam Hussein geführt. Der hatte Kuweit überfallen; unter dem Anspruch, sich dort zu holen, was dem Irak gehört.
Vor zwei Jahren haben US-Behörden einen mexikanischen Arzt aus Guadalajara in die USA entführen lassen. US-Drogenfahnder verdächtigen den Arzt, an der Ermordung eines US-Agenten mitgewirkt zu haben. Mexiko hat gegen die Entführung protestiert. Zwischen den USA und Mexiko besteht ein Auslieferungsabkommen. Die USA haben es ignoriert. Am Montag hat der oberste Gerichtshof der USA entschieden: Der Arzt darf in den USA vor Gericht gestellt werden; die Umstände, unter denen er in die Hände der Gesetzeshüter fiel, spielen keine Rolle.
Es ist ein Urteil aus dem Wilden Westen, erklärbar nur mit einer verblüffenden Provinzialiät der Mehrheit der Richter. In das Zeitalter der "Neuen Weltordung" paßt dieses Urteil so gut wie gespornte Stiefel in eine Limousine.
Die US-Richter haben sich auf ein ähnliches Urteil aus dem Jahr 1886 berufen. Dieses Urteil habe ältere Rechte als alle 103 seither geschlossenen Auslieferungsabkommen der USA mit anderen Staaten der Erde, entschieden sie.
Den Richtern des 19. Jahrhunderts ist kein Vorwurf zu machen. Der Wilde Westen war kein Rechtsstaat. Und die USA waren keine Weltmacht. Doch den Richtern von heute müßte aufgefallen sein, daß sich die Welt seither verändert hat.
Faktisch stellt das Urteil einen Freibrief für Staaten wie Iran dar, sich jemanden wie Rushdie zu holen; einen Freibrief für staatliches Kidnapping.
Natürlich sind die Fälle nicht vergleichbar. Der mexikanische Arzt mag ein Verbrecher sein, Salman Rushdie ist es nicht. Doch Rechtsnormen sind abstrakt. Entweder darf ein Staat unter schlichter Berufung auf seine eigenen Gesetze außerhalb seiner Grenzen tätig werden oder er darf es nicht. Es kann nur so sein: Er darf es nicht.
Kommentare sind geschlossen.
|
Loading Getty
Archiv
April 2020
Kategorien
Alle
DownloadsDie kompletten Jahrgänge DisclaimerViele
der hier verfügbaren Texte sind nicht end-redigiert. Sie können Fehler
enthalten, die in der Druckfassung korrigiert worden sind. Das trifft
insbesondere auf die Beiträge aus den Jahren 1992-2000 zu
(USA-Berichterstattung). Das Copyright zu allen hier verfügbaren Texten und
Fotos liegt beim Autor beziehungsweise bei den Fotografen. Wer Fotos oder
Texte, im Ganzen oder teilweise, kopieren oder sonstwie publizistisch verwenden
will, bedarf dazu der ausdrücklichen Einwilligung des Autors beziehungsweise
des Fotografen. |