Amerikas Wähler reiben sich verdutzt die Augen. Normalerweise gelten Republikaner als Männer, die schnell zur Waffe greifen. Demokraten dagegen gelten als eher weichlich im Umgang mit einheimischen Gangstern und ausländischen Tyrannen. Jetzt, angesichts des Trauerspiels auf dem Balkan, scheinen die Rollen vertauscht.
Präsident Bush, ein Republikaner und Weltkriegsoffizier, tut alles, um eine Entwicklung zu vermeiden, an deren Ende amerikanische Soldaten in Leichensäcken aus Jugoslawien in die Heimat zurückkehren könnten.
Bill Clinton, sein demokratischer Herausforderer, ein "Ungedienter", nutzt die Chance und macht sich zum Anwalt einer möglichen UN-Militäraktion, wenn nicht zur Befriedung Bosniens, so wenigstens zur Abschreckung der Serben.
Bush ist der Gefangene seiner eigenen Politik. Im Vorfeld des Golfkrieges beschwor er den Vergleich Saddam Husseins mit Adolf Hitler. Die freie Welt müsse aus dem Versagen der Appeasement-Politik vor dem Zweiten Weltkrieg Lehren ziehen, so Bush damals. Sie müsse Aggressoren rechtzeitig auf die Finger klopfen.
Eben diese Lehren scheint Bush jetzt vergessen zu haben. Dabei waren es hohe Beamte seiner Regierung, die Serben-Führer Milosevic vor Wochen schon mit Saddam und Hitler verglichen. Diesen Vergleich greifen die Demokraten und ihr Kandidat Clinton jetzt auf. Es fällt ihnen nicht schwer, so Punkte zu machen. Clinton führt Bush als außenpolitischen Zauderer vor, einen, der starken Worten wachsweiche Rückzieher folgen läßt. Und das zu einem Zeitpunkt, da die Beliebtheit des Präsidenten ohnehin auf einen neuen Tiefpunkt abgesackt ist.
Bush ist nicht zu beneiden. Tut er nichts, könnte Clinton die letzte Bastion des Präsidenten schleifen: Sein Image als sicherer und führungsstarker Außenpolitiker. Schickt Bush aber Soldaten nach Bosnien, ist schon jetzt der Vorwurf absehbar: Der Präsident opfert amerikanische Jungs, um im November wiedergewählt zu werden.
Am liebsten muß Bush es sein, wenn diesmal andere die Kastanien aus dem Feuer holen, sprich: die Europäer.
Erst am 3. November wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten. Ein Glück für George Bush.
Vor einem Jahr feierten die USA ihren Sieg im Golfkrieg mit Paraden auf den Straßen. Sieger Bush schwebte in den Umfragen ganz oben. Die konkurrierenden Demokraten lagen am Boden. Keiner ihrer Spitzenleute traute sich, als Präsidentschaftskandidat ins Rennen zu ziehen.
Doch in Arkansas, dem armen Staat zwischen Red River und Mississippi, machte sich ein junger Mann auf den Weg ins Weiße Haus, Bill Clinton. Kaum jemand glaubte, daß der jetzt 45jährige dort jemals ankommen würde. Jetzt, nach dem demokratischen Nominierungsparteitag in New York, hat sich das geändert. In Umfragen hat Clinton Bush weit abgehängt.
Das hat er zum einen der US-Wirtschaftsflaute zu verdanken, zum anderen drei Personen: George Bush, Ross Perot und sich selbst, Bill Clinton.
Bush hat den US-Wählern bisher keinen Grund nennen können, warum sie ihn wiederwählen sollten. Ross Perot, der unabhängige Milliardär aus Dallas, hat erst in Millionen von Menschen Hoffnung auf politischen Wandel geweckt - und sich dann klammheimlich aus dem Staub gemacht, kaum daß er merkte, was für eine brenzlige Sache so ein Wahlkampf doch ist.
Clinton dagegen nennt sich das "Comeback-Kid". Mehrfach schien seine Kampagne am Ende. Nie gab er auf. Jetzt ist er oben.
Er hat aus den früheren Fehlern der Demokraten gelernt und kupfert hemmungslos ab, womit die Republikaner einst ihre Konkurrenz das Fürchten lehrten: Clintons Botschaft ist optimistisch, er beschwört Amerikas Werte, hält die Familie hoch.
Daneben hat er ein klares Programm, das sich deutlich von dem der Republikaner unterscheidet, aber auch von dem, was die Demokraten früher boten. Er verspricht eine nationale Gesundheitsversicherung, Wahlfreiheit für schwangere Frauen, aber auch Haushaltsdisziplin, weniger Bürokratie, mehr Verantwortung für den Einzelnen. Und vor allem: Jobs.
George Bush hat noch knapp vier Monate Zeit, sein eigenes Image wieder aufzupolieren - oder das neue seines Gegners Clinton zu zerstören. Sonst wird er seine Koffer packen müssen.
Die Demokraten sind begierig. zu siegen. Sie sind begierig, endlich einmal wieder den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu stellen. Und die Zeiten, sie scheinen danach.
Seit zwölf Jahren regieren im Weißen Haus die Republikaner. Acht Jahren Ronald Reagan folgten vier Jahre Geroge Bush. Im November möchte Bush für eine zweite Amtszeit wiedergewählt werden. Die Mission sei noch nicht erledigt, sagt er. Welche Mission?
Die amerikanischen Wähler neigen dazu, von den Republiknern mehr Härte gegenüber Kommunisten und Verbrechern zu erwarten, auch mehr Sachverstand, wenn es um Gelddinge geht. Die Republikaner sind traditionell die Partei der Brieftasche. Die Demokraten sind die Partei fürs Herz.
Als die amerikanischen Wähler den Demokraten Jimmy Carter abwählten, 1980, und ihn durch Ronald Reagan ersetzten, hatten sie die Nase voll von einer Politik des schlechten Gewissens, von einem Präsidenten, der die Finger beharrlich in alle Wunden der Nation legte. Und der nicht imstande war, den Ayatollahs im Iran amerikanische Geiseln zu entreißen. Unter Reagan fühlte die Nation sich wieder groß.
Und es sollte ihr besser gehen, versprach der einstige Hollywood-Schauspieler. Schuld an Rezession und Elend im Lande seien die überbordenden Sozialprogramme der Demokraten, sei der Wohlfahrtsstaat. Die "Reaganomics" brachten Steuersenkungen für Unternehmer und Reiche, Kürzungen staatlicher Infrastrukturprogramme, knappe Kassen vor allem für die Städte, aber herrliche Zeiten für die US-Rüstungsindustrie. Und sie brachten Aufschwung und Arbeitsplätze.
Seit vier Jahren aber strauchelt die US-Wirtschaft durch ein tiefes Tal der Rezession. Die vielen neuen Arbeitsplätze der Reagan-Jahre, es waren zumeist schlecht bezahlte Jobs in Restaurants, im Kleingewerbe. Die industrielle Basis der Vereinigten Staaten zerbröselte. Eine neue ist noch nicht gefunden.
Nur die Rüstungs- und Elektronikindustrie blühte. Auch damit es es vorüber, seit der Kalte Krieg zuende ist.
Viele amerikanische Wähler haben das Gefühl: Außenpolitisch haben die Republikaner ihre Mission erfüllt, innenpolitisch haben ihre Rezepte versagt. Sie scheinen bereit, etwas Neues zu versuchen.
Eine Zeitlang schien dieses Neue aus Texas zu kommen, aus der Welt des Business. Es trug den Namen Ross Perot. Doch so erfolgreich der Milliardär aus Dallas im Geschäftsleben ist, im politischen Unterholz holte er sich rasch blaue Flecken. Sein Stern sank. Am Donnerstag zog er sich aus dem Rennen zurück. Zurück bleiben Zehntausende enttäuschter Perot-Aktivisten, ohne Kandidat, ohne Aufgabe.
Doch wer sonst kann die Nation aus dem Jammertal führen? Die Demokraten, diese ewig lamentierenden Nörgler, diese spendierfreudigen Weltverbesserer?
In New York auf ihrem Parteitag stellten sie sich gewandelt dar. Nicht als Partei des Contra, sondern des Pro. Pro-Business, pro choice, pro change. Wirtschaftsreundlich, für das Recht der Frauen, selbst zu entscheiden, ob sie abtreiben müssen. Für Wandel,für eine nationale Gesundheitsversicherung. Und geschlossen, hinter einem attraktiven Kandidaten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA Japan und Deutschland wieder aufgebaut, dieser Satz fehlt einer keiner Rede Clintons, jetzt, nach dem Ende des Kalten Krieges, sei es an der Zeit, daß die USA ihr eigenes Land wieder aufbauen.
Clinton verweist gern auf das deutsche Beispiel, um zu zeigen: Die Grundlage von politischem Einfluß in einer gewandelten Welt ist eine gesunde Wirtschaft. In einem Zeitalter der Abschreckung waren Kanonenboote die Trumpfkarten der Weltpolitik. In einem Zeitalter der Zusammenarbeit werde es Wirtschaftskraft sein, sagt Clinton. Es werde schwerer sein für die USA, ihre Führungsrolle zu behaupten. Statt Reaganomics setzt er auf eine Politik der sozialen Marktwirtschaft. Eine gesunde Wirtschaft setze sozialen Frieden voraus, gute Krankenhäuser und Schulen nicht nur für Reiche.
Zusammen mit Al Gore verkörpert Bill Clinton eine "neue Generation mit Führungskraft", die klare Gundsätze mit gemäßigtem Verhalten vereinbart. Clinton und Gore waren nicht die Kandidaten der Gewerkschaften. Auch nicht der Basisgruppen, die ihren Guru Jerry Brown verehren. Aber auch die Gewerkschaften und die vielen Minderheiten, die sich unter dem Dach der Demokraten versammeln, werden am Ende eher ihnen ihre Stimme geben als Perot oder Bush.
Die Wähler haben von Tricks und Schmuddelwahlkämpfen die Nase voll. Sie sehnen sich nach Visionen. Die ideale Zeit für einen jugendlichen Helden.
Ronald Reagan versprach den Amerikanern einst das Morgenrot - "Morning in America". Zweimal wählten ihn seine Mitbürger zum Dank ins Weiße Haus. Ronald Reagan, der gelernte Schauspieler, verstand, was das Medienzeitalter vom Politikgeschäft verlangt. Vor allem sympathische Gesichter, knappe, einprägsame Botschaften. Botschaften nicht nur fürs Hirn, sondern - und vielleicht vor allem - auch fürs Herz. Manche sagen: für den Bauch.
In New York beweisen die Demokraten zur Zeit, daß sie ihre Lektion gelernt haben. Was dort abläuft, ist kein Parteitag im europäischen Sinn, keine Wahl- und Redenschlacht im Stil des 19. Jahrhunderts. Wen die demokratische Partei zum Präsidentschaftskandidaten nominieren wird, mit welchem Programm sie die republikanische éra Reagan/Bush beenden will, es stand lange schon fest.
ôffentliche Meinungsbildung findet in den USA wie in Deutschland schon lange nicht mehr in Versammlungslokalen und via Flugblatt und Parteiprogramm statt. Sondern via Telefon, Telefax, im Fernsehen und in den Zeitungsspalten.
Auch die Parlamente sind nicht mehr wie einst die eine einzige öffentliche Tribüne, auf der Interessen und Ideen aufeinanderprallen. Wer sich darüber grämt, beklagt in Wahrheit den technischen Fortschritt, beklagt die Demokratisierung von Kommunikation.
Die amerikanischen Parteien inszenieren ihre Zusammenkünfte als Medienereignis, als Polit-Show, so unterhaltsam wie ein Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und Holland, bei dem das Ergebnis vorher feststeht. Kritisch beobachtet von Journalisten, die jede Rede, jeden Auftritt kommentieren und sezieren wie Sportberichterstatter am Stadionrand. Beobachtet und benotet auch von Millionen Wählern daheim im Fernsehsessel.
Deutsche Beobachter erheben sich gerne amüsiert über das Politspektakel der US-Parteien. Das sollten wir besser lassen.
Die Amerikaner sind nur konsequenter. Sie praktizieren Parteiendemokratie im Medienzeitalter. Es lohnt sich hinzusehen. Sie zeigen uns, wo’s lang geht.
Ein überführter Drogendealer kommt hinter Gitter, auch wenn er noch so einflußreich ist. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht bleibt: 25 US-Soldaten und rund 500 Bürger Panamas starben, um Panamas einstigen Diktator Noriega vor ein US-amerikanisches Gericht zu bringen.
1989 überfielen US-Truppen den Kleinstaat in Mittelamerika, um Noriegas habhaft zu werden. Präsident Bush warf ihm vor, Drogen aus Süd- nach Nordamerika zu leiten und daran kräftig zu verdienen. Das Gericht in Miami bestätigte diese Vorwürfe. Im April wurde Noriega für schuldig befunden, letzten Freitag wurde das Strafmaß verhängt: 40 Jahre Gefängnis. Mindestens noch acht Jahre davon muß Noriega absitzen, bis er um Straferlaß bitten kann.
Noriega hat Bush vorgeworfen, ihn aus privater Rachsucht aus Panama entführt zu haben. Er hat die USA beschuldigt, mit Panama umzugehen wie mit einer Kolonie. Das hat ihm nicht geholfen, zu recht. Denn selbst wenn es so ist, wird Noriegas eigene Schuld nicht geringer. Er verdient die Strafe, die ihn traf.
Nur: Einer wie er dürfte nie an die Macht gekommen sein, weder in Panama noch sonstwo. Daß er an die Macht gekommen ist, hat viel mit der US-Politik gegenüber Mittelamerika zu tun. Washington war es allzulange lieber, in den dortigen Präsidentenpalästen willfährige Gangster sitzen zu sehen als störrische Sozialisten. Der "Staatsmann" Noriega war eine Kreatur Washingtons und des Kalten Krieges, eine von vielen.
Das Urteil über Noriega war auch ein Urteil über die verfehlte Politik der USA gegenüber ihren südlichen Nachbarn. Es sollte George Bush mehr als "Genugtuung" bereiten. Nämlich auch Anlaß zum Nachdenken.
Noch vor einem Jahr mußte Boris Jelzin die USA durch die Hintertür betreten. Nur ein einziger Senator, Bob Dole aus Kansas, begrüßte ihn am Flughafen. Die US-Regierung wollte Michail Gorbatschow nicht vor den Kopf stoßen.
Diesmal wurde der russische Präsident mit allem Pomp und allen Ehren empfangen. Die Abgeordneten und Senatoren auf dem Kapitol feierten den Gast mit stehenden Ovationen. Der Applaus galt zum Teil der Botschaft, die Jelzin mitbrachte, zum Teil diente er der Wiedergutmachung.
Boris Jelzin genoß die neue Rolle, nannte George Bush einen Freund. Aber er gab auch zu verstehen, daß er nichts vergessen hat. Nur einen einzigen Trip unternahm er hinein ins Landesinnere der USA. Er besuchte eine Fleischfabrik in Kansas, wo Doles Wähler wohnen. Und er traf sich mit Bill Clinton, der anstelle von Bush ins Weiße Haus einziehen will.
Es war ein Gipfeltreffen ganz neuer Art. Zum erstenmal standen sich in Bush und Jelzin nicht die Führer zweier rivalisierender Supermächte gegenüber. Jelzin akzeptierte den Anspruch der USA, nunmehr allein weltweite Interessen zu verfolgen. Er brachte das Eingeständnis mit, daß Rußland vorerst mit sich selbst genug zu tun hat.
Das hört man gerne in den USA, aber man versteht es auch so: Die Luft ist raus aus Gipfeltreffen dieser Art.
Jelzin sieht Rußland auf einer Einbahnstraße in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft. Erneut warb er um Hilfe des Westens. Wer jetzt nicht investiert in das neue Rußland, so Jelzin, der verpaßt eine historische Chance.
Das deckt sich mit der Meinung der US-Regierung. Für die Mehrzahl der Abgeordneten und Senatoren aber ist es nichts als eine vage Hoffnung.
Die USA haben sich hoch verschuldet, nicht zuletzt, um die Sowjetunion durch einen Rüstungswettlauf in die Knie zu zwingen. Jetzt ist dieser Wettlauf gewonnen, die Gefahr gebannt. Jetzt ist es Zeit, in unser eigenes Land zu investieren, denkt die Mehrzahl der Amerikaner. Deshalb ist es höchst fraglich, ob den schönen Worten und Bildern vom Gipfel auch harte Dollar folgen werden.
Die Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen, eingemauert in gewaltigen Silos, in den USA wie in Rußland, sind nach wie vor scharf.
Sie waren das Kernstück einer Politik, die auf Frieden durch Abschreckung setzte. Die Sprache dieser Waffen heißt: Greifst Du mich an, so vernichte ich Dich. Keiner der bisherigen Abrüstungsverträge ist diesen Waffen an den Kragen gegangen.
Insofern haben George Bush und Boris Jelzin schon recht: Ihre öbereinkunft, diese Dinosaurier des Kalten Krieges zu verschrotten, ist von historischer Bedeutung.
Doch niemand hätte anderes erwartet. Denn soll das Wort vom Beginn einer neuen Epoche wahr sein, von der Freundschaft zwischen Rußland und Amerika, dann macht Abschreckung schlichtweg keinen Sinn mehr.
Insofern haben Jelzin und Bush nur vollzogen, was historisch geboten erscheint.
öber die strittigen Punkte im neuen Verhältnis zwischen Rußland und den USA haben auch Bush und Jelzin im direkten Gespräch keine Einigung erzielt. Bush möchte gern das alte amerikanische SDI-Programm ("Krieg der Sterne")in die neue Epoche hinüberretten, unter einem neuen Namen. Er hat Jelzin die Zusage abgerungen, daß beide Mächte sich künftig darüber Gedanken machen, wie Raketen geortet und abgefangen werden können, wo auch immer auf der Welt sie abgefeuert wurden. Aber mehr auch nicht.
Die amerikanischen Vorstellungen von einem globalen Schutzschild setzen énderungen am geltenden ABM-Vertrag voraus, einem Kernstück der bisherigen Abrüstungsverträge. Für den Schutzschild im All müßten neue, weiterentwickelte Raketen gebaut werden. Das wollen die Russen nicht zulassen, allem Zureden durch die US-Regierung zum Trotz.
öberhaupt "Gipfel". Auch dieser Begriff stammt aus einer vergangenen Epoche. Der Sinne der Treffen auf höchster Ebene lag ja gerade darin, daß sie möglich machten, was auf Arbeitsebene zwischen den Nationen nicht möglich war. Weil es eine solche Arbeitsebene nicht gab, den ständigen Gesprächskontakt in internationalen Gremien.
Eine Welt ohne Eisernen Vorhang, eine Welt, in der Zusammenarbeit an die Stelle von Konfrontation tritt, kommt ohne dramatisch inszenierte Gipfeltreffen aus. Mehr noch: Sind Rußland und die USA wirklich "befreundet", gibt es keinen Grund, nicht auch verbündet zu sein. Doch so weit ist es noch nicht. Warum nicht?
Hans im Glück zog einst in die Welt, die Taschen voller Gold. Auch George Bush war noch vor einem Jahr der unbestrittene Führer nicht nur der USA, sondern der Welt.
Doch George Bush möchte allzu viel auf einmal. Als Kriegsherr hat er sich bewährt, aber er möchte auch ein "Umweltschutz-Präsident" sein, das US-Staatsdefizit vermindern, neue Arbeitsplätze schaffen. Vor allem aber möchte er im November wiedergewählt werden.
Die USA haben es fertiggebracht, auf dem Umwelt-Gipfel in Rio als globaler ôko-Buhmann dazustehen. Alle Umweltsünder unter den Nationen können sich beruhigt die Hände reiben: Im Rampenlicht stehen nicht die Chemiefabriken in Indien, die Atomkraftwerke in Rußland oder die Regenwald-Rodungen in Südamerika, im Rampenlicht, da steht George Bush.
Erst haben die USA den Vertrag über die Verminderung des Kohlendioxid-Ausstoßes verwässert, jetzt weigern sie sich hartnäckig, einem Artenschutzvertrag zuzustimmen. Erstens will Bush nicht dafür zur Kasse gebeten werden, in anderen Ländern aussterbende Tierarten zu retten. Zweitens haben ihm seine Berater gesagt, der Vertrag sei zwar vielleicht gut für Eulen und seltene Kräuter, aber schädlich für die US-Bio-Industrie.
Wenn überhaupt irgendwo, dann wittert die Bush-Regierung in der Biotechnologie neue Arbeitsplätze, den entscheidenden Schub, den die gebeutelte US-Wirtschaft braucht, um im Herbst wieder oben zu sein. Im Herbst, wenn der Wahlkampf seinen Höhepunkt erreicht.
Im Weißen Haus regieren jetzt die Wahlkampfplaner. Und die sind der öberzeugung, daß der US-Präsident in Rio keinen einzigen Wähler gewinnen kann. Jeden ökologisch denkenden Menschen in den USA hat er ohnehin längst gegen sich.
Bush, zuhause umstritten und belächelt, hat auf der Weltbühne bisher noch stets brilliert. Am Donnerstag, wenn er zu seinem Kurzbesuch nach Rio kommt, könnte das erstmals anders sein. Er will dort als oberster Welt-Umweltschützer auftreten. Das dürfte ihm schwerfallen. Der Präsident der Vereinigten Staaten droht sich lächerlich zu machen. Wer sich von internationalen Verträgen die Hände nicht binden lassen will, sollte sich nicht in Rio feiern lassen wollen.
Am Ende könnte es George Bush sonst ergehen wie dem Hans im Glück. Der stand zuletzt mit leeren Händen da.
Seit 85 Jahren schon können Amerikaner gegen die Rodung staatseigener Wälder Einspruch einlegen. Vielleicht nannte man es früher anders, aber: Auflagen zum Schutz der Umwelt kannten die USA früher als jeder andere Industriestaat der Erde.
Recycling fand hier schon statt, als dieses Wort in deutschen Ohren noch spanisch klang. Nirgendwo sonst auf der Erde dürfte es soviele Naturschutzverbände geben wie in den Vereinigten Staaten. Geschwindigkeitsbegrenzungen, wie sie auf Amerikas Highways gelten (knapp 90km/h), würden den ADAC zur Weißglut treiben.
Die Weigerung von Präsident Bush, sich für den Umwelt-Gipfel in Rio de Janeiro auf feste Grenzwerte für den Ausstoß von Kohlendioxid festlegen zu lassen, ist in den USA mindestens so heftig kritisiert worden wie in Europa. Längst sind auch hierzulande selbst Industriekapitäne davon überzeugt, daß eine drastisch höhere Steuer auf Benzin nicht zu vermeiden und vernünftig ist. Sie sehen, daß ihre ausländischen Konkurrenten auf vielen Märkten erfolgreicher sind. Mit Produkten, die weniger Energie verbrauchen als US-Erzeugnisse.
Entgegen dem Grundlehrbuch der freien Marktwirtschaft sind höhere Steuern und strenge Auflagen eben machmal gut für die Wirtschaft. Sie ermuntern zur Entwicklung sparsamerer Produkte, sie machen konkurrenzfähiger auf den Märkten von morgen. Bedauerlicherweise ist diese Botschaft in Wahlkampfzeiten schlecht zu vermitteln. Auch und gerade in den USA.
Insbesondere wenn es um die Steuer auf ôl und Benzin geht. Denn: Viel stärker als in Europa gehört das Auto und das Recht, sich frei und für wenig Geld - wenn auch langsam - im Lande zu bewegen, in den USA zur Grundausstattung freier Bürger. Der amerikanische Traum, er kreist um das Auto. Der Gedanke, das noch immer billige Benzin könnte drastisch teurer werden, raubt Amerikanern den Schlaf.
Aus gutem Grund. Die Entfernungen zwischen den großen Städten, zwischen Vororten und Innenstädten, sind in diesem riesigen Land ungleich größer als in Europa. Ohne Auto ist der Mensch hier hilflos. Da es der US-Wirtschaft seit langem schlecht geht, da die Realeinkommen seit Jahren sinken, könnten viele Bürger, auch umweltbewußte, für Benzin gar nicht tiefer in die Tasche greifen. Die ist leer.
Wenn es gilt, die Stimmen möglicher Wählerzu zählen, haben selten die Vorausdenker das Sagen. Gefragter sind die Milchmädchen. Für Rio und überhaupt in diesem Jahr ist deshalb auf die USA nicht ernsthaft zu zählen im Kampf gegen das Ozonloch und die Klimakatastrophe. Doch wer daraus einen Trend ableitet und womöglich Lehren ziehen will für Europa, der könnte sich verrechnen.
Wieder ist ein Mensch in den USA von Amts wegen umgebracht worden. Erst vor wenigen Wochen starb Robert Harris in einer kalifornischen Gaskammer. Auch damals protestierten viele Amerikaner, obwohl Harris zweifellos ein Mörder war. Am Donnerstagmorgen nach europäischer Zeit starb Roger Coleman auf dem elektrischen Stuhl des Staats Virginia. Und das, obwohl erhebliche Zweifel an seiner Schuld bestanden.
Für Colemans Schuld sprachen Indizien, gegen seine Schuld sprachen andere Indizien. Im Zweifel für den Angeklagten, das ist ein Rechtsprinzip, das und die alten Römer lehrten, das Eingang gefunden hat in die Rechtsprechung aller zivilisierten Staaten der Welt. Es gilt auch in den USA, aber, wie sich zeigt, nicht immer, nicht für jeden.
Wäre Roger Coleman nicht arm, arbeits- und ahnungslos gewesen, hätte er frühzeitig einen erfahrenen Anwalt gehabt - er würde noch leben. Wäre sein Hinrichtungstermin nicht in ein Wahljahr gefallen, Roger Colemann könnte noch leben.
Sein Tod auf dem elektrischen Stuhl ist ein erneuter Beweis dafür, wie barbarisch, wie unmenschlich, wie unzivilisiert die Todesstrafe ist. Vielleicht hilft er, in den USA die Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieser Strafe erneut zu entfachen, und nicht nur dort.
Glaubt man den Bürgern, die sich zu Wort melden, war eine große Mehrheit gegen die Hinrichtung. Die meisten Politiker in den USA glauben aber lieber der schweigenden Mehrheit.
In letzten Meinungsumfragen - vor der Hinrichtung Colemans - bekannten sich drei von vier Amerikanern zur Todesstrafe. Viele Bürger haben den Eindruck, auf den Straßen ihrer Städte regiere nicht das Recht, sondern die Gewalt. Straßenkriminalität ist allgegenwärtig, jedenfalls da, wo die Armut zuhause ist. Die Polizei erscheint allzuoft ohnmächtig, die Justiz zahnlos, verstrickt in Paragraphen.
Seit den Unruhen in Los Angeles hat Amerikas Waffenindustrie Hochkonjunktur. Viele Bürger glauben, der Staat könne sie nicht genügend schützen. Sie kaufen sich Pistolen und Gewehre, um sich im Notfall selber verteidigen zu können.
In dieser Situation will der Staat, wollen Politiker beweisen, daß die Justiz doch funktioniert. Daß der Staat sich von tricksenden Anwälten nicht erweichen läßt. Wer sich als politscher Amtsinhaber in den USA in diesen Tagen nicht hart zeigt im Umgang mit dem Verbrechen, kann seine Hoffnungen auf Wiederwahl begraben. Auch deshalb mußte Roger Coleman sterben.
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