Die große Vision ist das eine, die vielen kleinen hakeligen Paragraphen sind das andere. Die Vision heißt: eine große Handelszone ohne Zollschranken vom Yukon bis nach Yucatan, ganz Nordamerika als Markt ohne Grenzen. Der Blick auf die Paragraphen aber - und auf den US-Wahlkampf - lassen erwarten: So rasch wird die Vision nicht Wirklichkeit werden.
1988 unterzeichneten die USA und Kanada ein Handelsabkommen. Mit dem Ziel, eine Nordamerikanische Freihandelszone zu schaffen. Von Anfang an war geplant, Mexiko hinzuzunehmen. Seit Februar 1991 verhandelten Vertreter der drei Regierungen unermüdlich über die Details des neuen, erweiterten NAFTA-Vertrages (NAFTA steht für: North American Free Trade Agreement). Zuletzt tagten sie pausenlos, in einem Hotel in Washington, tagelang, nächtelang. Immer wieder hieß es, eigentlich sei alles klar. Nur Details seien noch offen. Doch in denen, zeigte sich dann, steckte der Teufel.
NAFTA ist Amerikas Antwort auf den Europäischen Binnenmarkt. Mit dem Verschwinden der Grenzen und Handelsschranken zwischen den EG-Staaten sehen die USA sich (vorausschauend) ihres größten internationalen Wettbewerbsvorteils beraubt: der weltweit größte Markt ohne Schranken zu sein. Doch im Verbund mit Kanada und Mexiko würde Amerika Europa erneut enteilen - jedenfalls im Vergleich der Flächen.
Mexiko, Kanada und die USA umfassen ein Gebiet von rund 23 Mio Quadratkilometern, zweimal so groß wie der ganze europäische Kontinent. Im Nafta-Raum leben mehr als 330 Mio Menschen, etwa ebenso viele wie in der EG. Zusammen erwirtschafteten die drei Staaten 1991 ein Bruttoinlandsprodukt von rund 6,5 Billionen Dollar (6500 Mrd Dollar). Allein die USA allerdings waren dabei für rund 5,7 Billionen Dollar gut.
Nicht nur vom Titel und Wortklang, auch von Inhalt und Ziel ist die NAFTA weniger mit der EG vergleichbar, als mit der EFTA, dem von der Geschichte inzwischen überholten Versuch europäischer Nicht-EG-Staaten, eine europäische Freihandelszone zu bilden. Eine politische Zusammenarbeit außerhalb des wirtschaftlich Notwendigen, eine politische Union gar, sieht NAFTA nicht vor.
NAFTA war von Anbeginn nicht nur Quell großer Hoffnungen, sondern auch Zielscheibe heftiger Kritik, Anlaß zu Befürchtungen.
Kanada fürchtete, noch tiefer in den Schatten des übermächtigen Nachbarn USA zu rutschen. Schon allein deshalb waren die Kanadier für die Erweiterung des Vertragsgebietes um Mexiko.
In Mexiko wehrte sich vor allem die Energiewirtwschaft bis zuletzt heftig gegen den Einlaß der Konkurrenz aus den USA auf den heimischen Markt.
In den USA machten und machen vor allem die Gewerkschaften gegen den Vertrag mobil. Für die AFL-CIO, den US-Gewerkschaftsdachverband, pflastert NAFTA "den Weg für den Export Hunderttausender unserer Jobs nach Mexiko." Unabhängige Experten schätzen, daß die durchschnittlichen industriellen Lohnkosten in Mexiko nur ein Zehntel dessen betragen, was in den USA oder Kanada üblich ist.
NAFTA soll deshalb nicht schnell und nicht mit einem Schlag Wirklichkeit werden. Vereinbart ist eine öbergangszeit von 15 Jahren, in der allmächlich die Importzölle und Handelsrestriktionen abgebaut werden. Die Regierung Bush setzt darauf, daß in diesem Zeitraum und unter dem Druck des zusammenwachsenden Marktes auch das Lohngefälle schrumpft.
Schon heute produzieren viele US-Unternehmen teilweise im südlichen Nachbarland, manchmal nur Meilen von der Grenze entfernt. Die US-Gewerkschaften sind wütend, die Unternehmen aber argumentieren, nur so blieben sie wettbewerbsfähig. Die Alternative heiße: Pleite.
Erst unter dem Druck der Gewerkschaften, der Demokraten im Kongreß und der Umweltschutzverbände wurden ökologische Fragen in das Vertragswerk aufgenommen. Mexikos Umweltgesetzgebung gilt im nördlichen Nachbarland als lasch beziehungsweise nicht vorhanden. NAFTA sieht vor, daß eine trilaterale Expertenkommission darüber wacht, daß Umweltvorschriften nicht umgangen werden. Ein Negativwettbewerb um den Standort mit den geringsten Umweltauflagen soll vermieden werden. Der Praxistest steht noch aus.
Zum érger der Umweltschützer sieht NAFTA auch vor, daß ökologische Bedenken kein Handelshindernis sein dürfen. So wären den USA künftig die Hände gebunden, wenn etwa die mexikanische Thunfisch-Fangflotte wieder - wie bis vor einem Jahr üblich - massenhaft Delphine töten sollte. Das Thunfischfleisch müßte trotzdemn freien Zugang zum US-Markt finden.
Die gegenseitige Besteuerung von Importen soll allmählich wegfallen. Besonders umstritten war das in Bezug auf Bier und Autos. Die US-Brauer sehen sich schon heute massiver Konkurrenz aus Kanada ausgesetzt. Die kanadischen Brauer führen eine gleichlautende Klage. Vor alllem im Süden der USA ist mexikanisches Bier beliebt, wegen der noch geltenden Einfuhrsteuer allerdings teuer.
Die US-Autoindustrie fürchtet den freien Zugang der Weltkonkurrenz zu ihren angestammten Heimatmärkten wie der Teufel das Weihwasser, seitdem Europäer und vor allem Japaner und Koreaner mit ihren besseren und preiswerteren Wagen einen Großteil des amerikanischen Automarktes aufgerollt haben. Um das weitere Eindringen der außerkontinentalen Konkurrenz in den US-Markt auf dem Umweg über Kanada oder Mexiko an den geltenden Einfuhrquoten vorbei zu verhindern, sieht NAFTA vor, daß ein Auto nur dann als amerikanisches Produkt gilt, wenn mindestens 60 Prozent seiner Einzelteile auf dem Kontinent hergestellt wurden. Das klingt einfach, führt in der Praxis aber schon heute zu endlosen Streitereien darüber, wann die 60-Prozent-Grenze erreicht ist. Was ist, wenn ein amerikanischer Zulieferer Schrauben oder Kolbenringe aus Fernost-Produktion verwendet? NAFTA schreibt vor: Nur der Wert der Montagearbeit zählt als amerikanisches Produkt. Die Industrieanwälte reiben sich schon jetzt die Hände.
Schon heute ist Kanada der größte und Mexiko der drittgrößte Handelspartner der USA. (Der zweitgrößte ist Japan). 1991 haben die USA erstmals mehr nach Mexiko exportiert als umgekehrt (33,3 Mrd. Dollar gegenüber 31,1 Mrd Dollar). Der Warenverkehr boomt, auch schon ohne NAFTA. Die kanadischen Exporte in die USA summierten sich 1991 auf 91,1 Mrd Dollar, die US-Exporte nach Kanada auf 85,1 Mrd Dollar. Die Vertragsbefürworter setzen darauf, daß diese Entwicklung durch NAFTA zusätzlichen Schwung bekommt - zum Nutzen aller drei Volkswirtschaften.
Bush möchte dem Vertrag noch in diesem Jahr zu Gesetzeskraft verhelfen - bevor seine Amtszeit ausläuft. Der Kongreß muß zustimmen. Ob er das tut, ist höchst fraglich. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bill Clinton hat sich im Laufe des Wahlkampfes vom NAFTA-Befürworter zum -Kritiker gewandelt. Er glaube zwar, daß der freie Handel mit Mexiko gut sei für die USA, sagte er, der Vertrag, wie die Regierung Bush ihn ausgehandelt habe, aber sei verbesserungsfähig. Und das Repräsentantenhaus verabschiedete während der Schlußphase der Vertragsverhandlungen vorsorglich eine Resolution. Des Inhalts: Der Kongreß werde keinem Vertrag zustimmen, der den Standard der US-Gesundheits-, Abeitssicherheits- und Umweltgesetze aushöhlt. Abstimmungsergebnis: 362 zu null.
Theoretisch ist die Grenze zwischen den USA und Mexiko heute weitgehend dicht, jedenfalls für Mexikaner, die in den USA Brot und Arbeit suchen. Praktisch aber strömen Jahr für Jahr Hunderttausende von ihnen nach Norden. Entweder als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, als legale oder (meist) illegale Einwanderer. Die Vertragsbefürworter hoffen, daß NAFTA die Völkerwanderung von Süd nach Nord stoppt. Indem der mexikanische Lebensstandard steigt. Städten wie Los Angeles, wo niemand zu schätzen wagt, wieviele Mexikaner hier illegal leben, brächte das eine große Entlastung.
Doch Vertragsgegner wie der demokratische Senator Donald W. Riegle aus Michigan wettern, die brachliegende heimische Industrie und die Arbeitslosenquote im Wahlkreis vor Augen: "Es ist nicht unsere Aufgabe, Mexiko zu industrialisieren. Es ist unsere Aufgabe, die USA zu re-industrialisieren."
Alle Welt redet darüber, was die Uno in Jugoslawien tun "muß". Der UN-Generalsekretär denkt anders darüber. Für Boutros Boutros-Ghali ist die Rangordnung eindeutig: "Regionale Organisationen wie die Europäische Gemeinschaft oder die Westeuropäische Union haben den Vereinten Nationen zu Diensten zu stehen, nicht umgekehrt."
Der 69jährige Ägypter, seit gut einem halben Jahr im Amt, pflegt eine unmißverständliche Sprache. Eine Sprache, die mancher Berufsdiplomat schockierend findet. "Kolonialismus" bestimme noch immer das Denken mancher Mitglieder im Weltsicherheitsrat, hat der neue Generalsekretär einmal gesagt. Bitterböse Artikel vor allem in der britischen Presse waren die Folge. Boutros-Ghali beharrt: "Zu bestimmten Zeiten muß man diplomatisch sein, zu bestimmten Zeiten darf man nicht diplomatisch sein."
Es ist nicht nur die Sprache. Boutros-Ghalis Vorgänger Perez de Cuellar verstand sich zweifellos mehr als Sekretär der Uno, Boutros-Ghali legt größere Betonung auf den General in seinem Titel. Er übernahm den Posten am East River in New York zu einem Zeitpunkt, da die Bedeutung der Uno wuchs. Im Kalten Krieg zwischen den Blöcken oft wie gelähmt, erwarten jetzt viele von ihr, daß sie in die Rolle einer Weltregierung hineinwächst. Oder zumindest in die Rolle einer Welt-Feuerwehr, die überall löscht, wo regionale Konflikte, wo Bürgerkriege entbrennen.
Boutros-Ghali förderte zunächst olche Erwartungen. Unter dem Eindruck seines neuen Amts begann er aber bald zu bremsen.
Er trat an, die schwerfällige Bürokratie der Mammutbehörde zu entschlacken. Beherzt hat er während der ersten Monate seiner Amtszeit die Zahl der ihm direkt untergeordneten stellvertretenden Generalsekretäre von 28 auf acht beschnitten. Den in jeder Behörde stets so wichtig genommenen endlosen internen Sitzungen bleibt er häufig fern. Seine Zeit sei knapp, seine Aufgabe groß, sagt Boutros-Ghali.
All das hat ihn innerhalb der Weltorganisation nicht bei jedem beliebter gemacht. Nicht bei jenen seiner Stellvertreter, die nun nicht mehr zum engeren Führungskreis gehören. Und auch nicht bei den UN-Botschaftern, die sich in ihrer eigenen Wichtigkeit nicht mehr immer genügend beachtet finden. Statt mit UN-Botschaftern zu konferieren, pflegt der Generalsekretär gern den kurzen Draht zu den Außenministern. Viele kennt er noch aus seiner Zeit als ägyptisches Regierungsmitglied.
Bei allem Elan hat Boutros-Ghali schnell lernen müssen, wie begrenzt seine finanziellen Mittel sind. Die Uno ist notorisch knapp bei Kasse. Vor allem ihr größter Geldgeber, die USA, hält die Weltorganisation seit Jahren finanziell an der kurzen Leine. Wer will, daß die Uno immer mehr Blauhelme oder sogar kämpfende Truppen in alle möglichen Weltgegenden entsendet, argumentiert Boutros-Ghali, muß ihr mehr Geld geben. In diesem Jahr werden die friedenserhaltenden Truppen der Uno in Jugoslawien, Somalia, dem Libanon und auf Zypern zusammen rund drei Mrd Dollar kosten. Das wäre eine Vervierfachung gegenüber dem Vorjahr.
Der Generalsekretär weiß nicht, woher er das Geld nehmen soll. Deshalb hat er den Europäern rundweg erklärt: Wenn sie mehr Soldaten auf den Balkan schicken wollen, sollen sie das auf eigene Kosten tun.˙ Boutros-Ghali hält die UN ohnehin für "eurozentriert". Der großen Aufmerksamkeit, die dem Konflikt im früheren Jugoslawien gilt, hält er das weitgehende Desinteresse der Weltöffentlichkeit am Bürgerkrieg in Somalia entgegen. Und er macht die einfache Rechnung auf: "Wenn wir uns stärker in Jugoslawien engagieren, geht das auf Kosten anderer Aktivitäten."
Das "wirkliche Problem" des nächsten Jahrzehnts liege nicht auf dem europäischen Kontinent, das wirkliche Problem seien die Nöte der Dritten Welt; nicht nur Kriege und Flüchtlingswewegungen, sondern auch Hunger und Trockenheit.
Boutros-Ghali ist der erste Afrikaner auf dem Stuhl des UN-Generalsekretärs, und er gibt sich entschlossen, seinen globalen Auftrag ernst zu nehmen. Schluß zu machen mit der Sichtweise europäischer und amerikanischer Medien und Politiker, wonach Brandherde umso schlimmer sind, je näher sie an Europa, Nordamerika oder strategischen Ölquellen liegen.
Die Frage ist, ob er das wird durchhalten können. Ob er das diplomatische Geschick aufbringt, die Industriestaaten gleichzeitg vor den Kopf stoßen und ihnen mehr Geld und Einfluß abringen zu können. Schon dringt aus "UN-Kreisen" absichtsvoll vernehmbar gemachtes Gegrummel, Boutros-Ghali werde womöglich seine erste Amtsperiode nicht überstehen.
Amerikas Wähler reiben sich verdutzt die Augen. Normalerweise gelten Republikaner als Männer, die schnell zur Waffe greifen. Demokraten dagegen gelten als eher weichlich im Umgang mit einheimischen Gangstern und ausländischen Tyrannen. Jetzt, angesichts des Trauerspiels auf dem Balkan, scheinen die Rollen vertauscht.
Präsident Bush, ein Republikaner und Weltkriegsoffizier, tut alles, um eine Entwicklung zu vermeiden, an deren Ende amerikanische Soldaten in Leichensäcken aus Jugoslawien in die Heimat zurückkehren könnten.
Bill Clinton, sein demokratischer Herausforderer, ein "Ungedienter", nutzt die Chance und macht sich zum Anwalt einer möglichen UN-Militäraktion, wenn nicht zur Befriedung Bosniens, so wenigstens zur Abschreckung der Serben.
Bush ist der Gefangene seiner eigenen Politik. Im Vorfeld des Golfkrieges beschwor er den Vergleich Saddam Husseins mit Adolf Hitler. Die freie Welt müsse aus dem Versagen der Appeasement-Politik vor dem Zweiten Weltkrieg Lehren ziehen, so Bush damals. Sie müsse Aggressoren rechtzeitig auf die Finger klopfen.
Eben diese Lehren scheint Bush jetzt vergessen zu haben. Dabei waren es hohe Beamte seiner Regierung, die Serben-Führer Milosevic vor Wochen schon mit Saddam und Hitler verglichen. Diesen Vergleich greifen die Demokraten und ihr Kandidat Clinton jetzt auf. Es fällt ihnen nicht schwer, so Punkte zu machen. Clinton führt Bush als außenpolitischen Zauderer vor, einen, der starken Worten wachsweiche Rückzieher folgen läßt. Und das zu einem Zeitpunkt, da die Beliebtheit des Präsidenten ohnehin auf einen neuen Tiefpunkt abgesackt ist.
Bush ist nicht zu beneiden. Tut er nichts, könnte Clinton die letzte Bastion des Präsidenten schleifen: Sein Image als sicherer und führungsstarker Außenpolitiker. Schickt Bush aber Soldaten nach Bosnien, ist schon jetzt der Vorwurf absehbar: Der Präsident opfert amerikanische Jungs, um im November wiedergewählt zu werden.
Am liebsten muß Bush es sein, wenn diesmal andere die Kastanien aus dem Feuer holen, sprich: die Europäer.
Die Demokraten fordern Militäreinsatz in Jugoslawien - Regierung und Militärs sitzt das Vietnam-Trauma in den Knochen
Über Amerikas Bildschirme flimmern in diesen Tagen nicht nur Bilder von den erschossenen Kindern in Bosnien, sondern auch Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und das militärische Desaster der USA in Vietnam. Die US-Demokraten und ihr Präsidentschaftskandidat Bill Clinton fordern zwar einen Militäreinsatz in Jugoslawien, die Militärs aber warnen, und Präsident George Bush zögert. Die US-Regierung verlangt nach präziseren Informationen über die Vorgänge in serbischen Gefangenenlagern.
Der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber Galvin riet dem Präsidenten via TV von einer Militäraktion rundweg ab. Andere Militärs taten das gleiche im Stillen; nachdrücklich. Das Pentagon sorgte dafür, daß frühe Rufe aus der Bush-Regierung nach einem härteren Vorgehen gegen die serbischen Freischärler rasch wieder verstummten. Galvin erinnerte daran, wie einfach es sei, in einen Guerillakrieg verwickelt zu werden, wie schwer aber, ihn zu beenden.
Der kanadische General Mackenzie, gerade vom Uno-Einsatz in Jugoslawien zurück, schätzt, man benötige allein mindestens 40000 Soldaten, nur um in Sarajewo für Ruhe zu sorgen. Um den Nachschub zu sichern, müßte ein Korridor zwischen Sarajewo und Split freigehalten werden. Ohne massiven Einsatz weiterer Bodentruppen gehe das nicht, sagen die Militärs. Die bosnischen Gebirgszüge gelten ihnen als "gottgegebenes Gelände" für den effektiven Einsatz von Guerillas.
Bill Clinton und die Demokraten im Kapitol fordern seit langem, den Serben mit Kampfeinsätzen der Uno zu drohen, mindestens mit Bombardements der serbischen Artilleriestellungen. Militärs halten dagegen, wie schwer es sei, in unebenem Gelände kleine Nester von Kämpfern punktgenau zu treffen. Außerdem seien Waffen und Heckenschützen in Jugoslawien allgegenwärtig. Und was ist, wenn die Serben aus Rache die Uno-Blauhelm-Truppen angreifen, fragte General Mackenzie?
Dennoch fordert Clinton Bush jetzt täglich auf zu unternehmen, "was immer notwendig ist, das Abschlachten von Zivilisten zu stoppen." Wenn die Geschichte des Holocaust die Welt irgendetwas gelehrt habe, so Clinton, "dann, wie teuer es uns zu stehen kommt, angesichts von Völkermord still und paralisiert zu sein." Der demokratische Senator Joseph Lieberman verlangte eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates.
Der stellvertretende US-Außenminister Eagleburger dagegen dringt nur, das allerdings in scharfen Worten, auf rasche und gründliche Überprüfung aller Gerüchte über Verbrechen an Zivilisten. Dabei wußte der Sprecher des US-Außenministeriums, Boucher, noch Anfang der Woche von "eigenen Berichten", aus denen definitiv hervorgehe, daß die Serben Konzentrationslager für Kroaten und Moslems unterhalten. Boucher: "Wir erhalten fortlaufend Berichte über Quälerien und Morde in diesen serbischen Lagern." Tags darauf konnte ein anderer Sprecher des Außenministeriums die Existenz genau solcher Berichte "nicht bestätigen".
In der Zwischenzeit hatte Präsident Bush in einem Fernsehinterview von seinen Lehren aus Zweitem Weltkrieg und Vietnamkrieg gesprochen: Erstens dürfe man den Militärs nicht die Hände binden, zweitens müsse stets man am Anfang bedenken, was die Folgen eines Kriegseintritts sein könnten. Er denke nicht daran, einen einzigen amerikanischen Soldaten einem unkalkulierbaren Risiko auszusetzen.
Bush reagierte damit indirekt auf Vorwürfe im Zusammenhang mit der Irak-Krise, er spiele mit Kriegsplänen, nur um seine Wiederwahl im November zu sichern. Jetzt werfen ihm die Demokraten, aber auch einzelne republikanische Politikervor, gegenüber dem Serben-Führer Milosevic "weiche Knie" zu zeigen. Der Kongreß-Abgeordnete Tom Lantos, ein Demokrat, rief in Erinnerung: "Während in den Gaskammern Unschuldige verbrannten, konnten wir auch sagen, wenn auch wenig ehrenhaft: Genau wissen wir es nicht."
Auf dem "Erdgipfel" in Rio erschienen die USA als globaler Umwelt-Buhmann Nummer Eins. Dabei bezeichnen sich drei von vier Amerikanern als Umweltschützer.
Die USA sind zersiedelt wie kaum ein Land der Welt. Wo und wie welche Häuser und Straßen gebaut werden, liegt in der Regel in der Hand privater Entwicklungsgesellschaften. Sie schlagen Schneisen in die Natur, wie sie es für profitabel halten. So war es von Anbeginn; seit der weiße Mann Nordamerika besiedelte. Auf die Indianer wurde dabei keine Rücksicht genommen - warum auf getupfte Eulen, seltene Pflanzen oder die Höhe des Grundwasserspiegels?
Andererseits: Die USA haben als erster Staat der Erde Nationalparks eingerichtet. Seit 1916 ist Vorschrift, daß niemand in die Naturkreisläufe dieser Parks eingreifen darf - "zur Freude künftiger Generationen." 1970 waren knapp 120 Mio Hektar Land auf diese Weise geschützt, heute sind es mehr als 320 Mio Hektar.
Die USA sind der Energieverschwender Nummer Eins der Erde. Traditionelle amerikanische Autos verbrauchen zwei- bis dreimal soviel Sprit wie europäische oder japanische Kleinwagen. Amerikanische Häuser sind schlecht isoliert, weil leicht gebaut. Im Winter werden sie geheizt, im Sommer gekühlt. Energie ist reichlich vorhanden und billig. Seit drei Jahren schieben Kongreß, Senat und Weißes Haus einen Gesetzentwurf untereinander hin- und her, dessen Ziel die Energie-Einsparung ist. Das Problem: Jeder weiß, durchschlagenden Erfolg hat das Gesetz nur, wenn Energie drastisch teurer wird. Nur: Kaum ein Politiker traut sich das zu sagen. In einem Wahljahr schon gar nicht.
Die USA setzen einen Großteil des Kohlendioxides frei, das für den Treibhauseffekt verantwortlich gemacht wird. In Rio hat Präsident Bush sich geweigert, verbindliche Grenzwerte für den künftigen CO2-Ausstoß zu akzeptieren. Nicht nur von Umweltschützern ist er dafür zuhause heftig kritisiert worden. Auch Vordenker der Wirtschaft befürchten, die US-Industrie könne an Wettbewerbsfähigkeit weiter verlieren, wenn sie nicht gezwungen ist, umweltfreundliche Verfahren, Apparate und Produkte zu entwickeln, die sich auf den ökologisch immer anspruchvolleren Märkten der Welt verkaufen lassen.
Die USA produzieren traditionell den höchsten Müllberg der Welt. Der American Way of Life kam in einer Einwegverpackung daher. Aber die USA haben auch das Recycling erfunden. Neue Einkaufszentren werben damit, daß ein immer höherer Prozentsatz des dort erzeugten Mülls an Ort und Stelle wiederverwendet wird. In den Städten wird längst Glas, Plastik, Blech getrennt gesammelt.
Seit 1990 ist der Clean Air Act, ein Luftreinhaltegesetz, in Kraft. Danach müssen bis spätestens zum Jahr 2000 alle Fabrikanlagen, die zur Erzeugung sauren Regens beitragen, umgerüstet sein. Die ohnehin strikten Abgasvorschriften für Autos werden bis zur Jahrtausenwende stufenweise verschärft. Katalysatoren gehörten in US-Automobilen schon zum Standard, als in Deutschland Politiker das Wort erst mühsam zu buchstabieren begannen.
Wahr ist aber auch, daß die Regierungen Reagan und Bush viele andere der zahllosen US-Umweltvorschriften ausgehöhlt haben. Unter der öberschrift: weniger Bürokratie. Die Nationale Umweltbehörde EPA ist zu einem Tiger mit antrainierter Beißhemmung geworden. Als Chefdompteur präsentiert sich stolz: Vizepräsident Dan Quayle. Er profiliert sich als Chef-Wirtschaftslobbyist im Weißen Haus.
Sollte im November der Demokrat Bill Clinton die Wahl gewinnen, zöge mit ihm anstelle von Quayle ein Vizepräsident ins Weiße Haus, der ein Umweltpolitiker aus Leidenschaft und öberzeugung ist. Al Gore ist Autor eines Bestsellers über "Die Erde im Gleichgewicht".
In seinem Roman "Unser Mann in Havanna" karikiert Graham Greene die kindlich komplizierte Denkwelt der Spione. Selbst ein Staubsaugerschaltplan kann darin gefährliche Dimensionen gewinnen. Greene beschreibt die seltsame Form von rücksichtsloser Kameraderie, wie Agenten sie pflegen. In einem Gerichtssaal in Washington ist derzeit zu bestaunen, wie es tatsächlich zugeht bei Spionens. Graham Greene hätte seine helle Freude daran.
Clair George war eine mächtige Figur in der CIA, der Central Intelligence Agency, dem US-Geheimdienst. Von 1984 bis 88 war er dort der dritte Mann (!), zuständig für alle verdeckten Operationen, weltweit. Jetzt steht er vor Gericht, angeklagt des Meineids und der Irreführung des Parlaments und der Gerichte. Zeuge der Anklage ist Alan D. Fiers, unter George einst Chef der CIA-Einsatzgruppe Mittelamerika. Es heißt, George und Fiers seien Freunde (gewesen?).
Fiers hat sich von der Anklage "einkaufen" lassen mit der Zusage, selber nur wegen geringfügiger Vergehen belangt zu werden. Dafür packt er jetzt aus. Jedenfalls scheint es so - dank Graham Greene wissen wir ja, daß in der Welt der Spione nichts so ist wie es aussieht.
Jedenfalls bezeugt Fiers, er habe den Kongreß belogen, und zwar auf Weisung von George. Es ging um Nikaragua. Die Reagan-Regierung hat die dortigen Contra-Rebellen mit Waffen und die Katholische Kirche mit Geld versorgt, um die sozialistische Sandinisten-Regierung auszuhebeln - was ja letztlich auch gelang. Das alles via CIA. Was damals, Mitte der 80er Jahre vielen als kommunistische Lügenpropaganda galt, ist längst gerichtsnotorisch. Der Schönheitsfehler der CIA-Aktionen war, daß der Kongreß sie ausdrücklich untersagt hatte.
Dummerweise, aus CIA-Sicht, schossen die Sandinisten im Oktober 1986 ein Flugzeug vom Himmel, das Waffen für die Contras transportierte. Der Pilot, Eugene Hasenfus, sagte aus, er sei von CIA-Agenten angeheuert worden. Einer davon nenne sich Max Gomez.
Die empörten Abgeordneten im US-Kongreß verlangten Aufklärung. Fiers wurde vor einen Untersuchungsausschuß zitiert. Natürlich wußte er genau Bescheid über die Operation. "Max Gomez" hieß in Wirklichkeit Felix Rodriguez und war einer von Fiers’ Agenten. Nur: Den Abgeordneten spielte Fiers den Verblüfften vor. Auf Weisung, wie Fiers sagt, von George. Der habe angeordnet: "Wir sagen denen, wir checken das noch."
Anschließend zirkulierten im CIA-Hauptquartier Buttons mit dem Aufdruck: "Wer ist Maximo Gomez". Und einer, auf dem stand: "Ich bin Max Gomez". Den reservierte sich der Chef persönlich, Clair George. Sagt Fiers. Spione haben Humor, jedenfalls untereinander.
Spione können auch weinen. Das ergab sich am zweiten Tag des Prozesses. Fiers sollte aus seiner eigenen Personalakte vorlesen; die guten Zeugnisse, die sein Chef ihm geschrieben hat, George eben. Da kamen dem Agenten die Tränen. Eindrucksvoll.
Es fiel Fiers sichtlich schwer, da Wort "Lüge" in den Mund zu nehmen. Kein Wunder, der Begriff kommt im Wortschatz von Agenten nicht vor, war zu erfahren. Im CIA-Jargon war Fiers’ Falschaussage damals vor dem Kongreß eine "nicht wahre Stellungnahme". Jetzt rang er sich durch: "Wenn Sie es eine Lüge nennen wollen, dann, ja, will ich der Wirklichkeit ins Gesicht sehen. Ich akzeptiere dieses Wort."
Einen solchen Prozeß hat Amerika noch nicht gesehen. Alle Beteiligten haben stets im Glauben gehandelt, sie agierten im Auftrag und Interesse der USA. Jetzt hat ihr eigener Staat sie verklagt. Spione werden als Zeugen vernommen und sollen gegen ihre eigenen Chefs aussagen - wo die erste Regel doch ist, die alle Agenten lernen: unbedingte Loyalität.
öbrigens nennen einvernommene Spione vor dem Gericht nicht ihren wirklichen Namen, so weit geht die Wahrheitssuche nicht. Sie identifizieren sich als, zum Beispiel, "Agent Nummer 6". Nr. 6 entpuppt sich als eine junge Frau, die in der Aktenablage der CIA arbeitet.
Film- und Fotoaufnahmen sind in US-Gerichtssälen nicht gestattet. In diesem Prozeß dürfen nicht einmal die sonst üblichen Porträt-Zeichungen gemacht werden.
Jedenfalls gilt das für die Presse und "normale" Zaungäste des Prozesses. Da gibt es aber auch noch andere Zuhörer. Sie tragen unauffällige Anzüge in gedeckten Farben und halten sich gern an Zeitungen fest, ohne darin zu lesen. Es heißt, einer in der hintersten Reihe nehme den gesamten Prozeß auf, heimlich. Ein anderer hantierte mit einem unindentifizierbaren Gerät, während sich vorne Richter und Anwalt leise unterhielten. Von dem Gerät führte ein Kabel zum Ohr des Mannes. George, auf der Anklagebank, sah das und lächelte milde. Die Gerichtsdiener blicken weg.
Ex-CIA-Spione haben einen Fonds gegründet. 250000 Dollar sind schon eingegangen, zur Finanzierung der Verteidigung ihres einstigen Chefs. James Potts diente unter George in Afrika. Er versäumt keinen Gerichtstag. Daß Fiers gegen George aussagt, findet Potts "verabscheuungswürdig". Für die Tatsache, daß George und Fiers den Kongreß belogen haben, findet er Worte von anderer Qualität: "Sie hielten sich schlicht an das übliche Verfahren, nie mehr zu sagen, als unbedingt nötig ist."
Alan Fiers, der nun, wenn auch unter Mühe, den Begriff "Lüge" akzeptiert, kann dennoch die Aufregung im Grunde nicht verstehen. Schließlich sei es doch in Washingtons Insider-Zirkeln ein "offenes Geheimnis" gewesen, was die CIA da trieb in Nikaragua; lange bevor Eugene Hasenfus abgeschossen wurde. Viele Leute seien dann ganz plötzlich "sehr vergeßlich" geworden, wundert er sich.
Von wegen, Wahlkampf ist langweilig. Amerika lehrt uns das Gegenteil.
Erst machte Pat Buchanan, ein ehemaliger Redenschreiber des Weißen Hauses, George Bush das Siegen im eigenen Lager erstaunlich schwer. Dann tauchte Ross Perot auf. Mit seiner Drohung, auf eigene Kosten einen "Weltklasse-Wahlkampf" hinzulegen und Bush aus dem Weißen Haus zu vertreiben, beherrschte der egozentrische Milliardär monatelang die Schlagzeilen; wie ein politisches Ungeheuer von Loch Ness - bis er unvermittelt abtauchte.
Schließlich boten die Demokraten ein erstaunliches Bild an Geschlossenheit. Im vorweggenommenen Siegestaumel hoben sie Bill Clinton auf den Schild. Und was noch erstaunlicher war: Amerikas ôffentlichkeit nahm den Demokraten ab, daß sie neuerdings keine nörgelnden Streithammel mehr sind, sondern eine Partei mit gemäßigtem Programm und kompetentem Kandidaten. Die Perot-Begeisterung hat sich unvermittelt übertragen auf Clinton.
Mit einem Mal sieht die Republikanische Partei, erfolgsverwöhnt unter Reagan und anfangs auch Bush, ganz alt aus. Ihre Spitzenleute wissen das. Und sie wissen auch: Es liegt nicht an diesem oder jenem Programmpunkt, es liegt auch nicht am Vizepräsidenten Quayle. Es liegt an ihrem Kandidaten.
Neben Clinton wirkt George Bush pensionsreif. Clinton reißt sein Publikum mit wie einstens Kennedy. Er verspricht, die USA "ins 21. Jahrhundert" zu führen. Bush, eine ganze Generation älter als Clinton, pocht darauf, er habe die Welt erfolgreich durch das Ende des Kalten Krieges gesteuert. Okay, heißt das gelangweilte Echo, aber das ist erledigt.
Die Republikaner haben noch bis zu ihrem Parteitag die Chance, mit einem neuen Kandidaten die Karten einmal mehr neu zu mischen. Doch: Wer könnte dieser Kandidat sein? James Baker vielleicht, Bushs loyaler Freund und Außenminister? Als Königsmörder wird weder er noch sonst jemand sich hergeben wollen.
Und Bush mag wankelmütig sein, wenn es um politische Inhalte geht. Alle, die ihn kennen, sagen: Er ist keiner, der aufgibt. Behalten sie recht, heißt es für die Republikaner: Mit Bush siegen oder untergehen.
In Landstrichen wie Orange County, Kalifornien, ist die Seele der Republikaner zuhause. Hier blühte in den achtziger Jahren die Elektronik- und Waffenindustrie der Vereinigten Staaten, hier leben gutverdienende, meist weiße Familien in großzügigen Häusern, hier fuhren Ronald Reagan und George Bush ihre sichersten Mehrheiten ein. Am Wochenende forderte die einflußreiche Zeitung der Region, der Orange County Register, George Bush auf, das Handtuch zu werfen. Es steht schlecht um das Seelenleben der Republikaner.˙ In zwei Wochen treffen sich die Delegierten der Republikanischen Partei in Houston, um ihren Präsidentschaftskandidaten zu küren. So wie die Dinge stehen, wird es George Bush sein. Er hat die parteiinternen Vorwahlen zwar anfangs mit Mühen, am Ende aber doch erwartet sicher gewonnnen. Vor nicht allzu langer Zeit sah es so aus, als könnte dem amtierenden Präsidenten niemand eine zweite Amtszeit streitig machen, als würden die Republikaner ihr Abonnement auf das Weiße Haus im November souverän erneuern.
Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Bill Clinton, liegt in den Meinungsumfragen um zwanzig bis dreißig Prozentpunkte vor Bush. Clinton wird bejubelt, wohin er kommt. Auch Bush-Auftritte ernten Applaus, aber meist wirkt der nicht mehr als höflich. Und das Publikum ist ausgewählt.
Der Präsident gibt Pressekonferenzen, er trifft sich fotogen mit anderen Führern der Welt, er sagt seinen Urlaub ab, bereist stattdessen das Hinterland: Es scheint ihm alles nichts zu helfen. In der letzten Woche tourte Bush durch Orange County. Was folgte, war die offene Aufforderung zum Rückzug aus der Politik.
Vor dem Parteitag werde er sich nicht in den Wahlkampf hinablassen, hatte Bush noch vor wenigen Wochen gesagt, ganz Staatsmann, nicht Kandidat. Inzwischen gilt das längst nicht mehr. Bush versprach, keinen Negativ-Wahlkampf gegen Clinton zu führen. Inzwischen greift er ihn offen an, seine Leute verschicken "Hintergrund"-Papiere, in denen Clinton als "Slick Willie" erscheint oder als "Bimbo" - als aalglatt und untreu.
Das Clinton-Camp kontert, solche Ausfälle seinen Ausdruck der Verzweifelung und Panik, die im Weißen Haus herrsche. Die Demokraten haben sich vorgenommen, den Republikanern während dieses Wahlkampfes keine Schlagzeile allein zu überlassen. Als "gescheiterten Gouverneur eines kleinen Staates" etikettierte Bush den Herausforderer. Prompt trat der, süffisant lächelnd, vor die Mikrophone und nannte Bush den "gescheiterten Präsidenten eines großen Landes".
Clintons Strategie scheint aufzugehen, die ehemals demokratischen Wähler zurückzugewinnen, die in den achtziger Jahren zu Reagan und Bush übergelaufen sind. In Kalifonien, dem Kernland der "Reagan-Revolution", führt er nicht minder deutlich als bundesweit. Selbst in Orange County liegt er vor Bush. Und sogar in Staaten wie Arizona, wo seit 1948 kein demokratischer Präsidentschaftskandidat mehr ein Bein auf den Boden gebracht hat.
Die Republikaner suchen, so sie nicht innerlich schon aufgegeben haben, verzweifelt nach einem Mittel, das Ruder doch noch herumreißen zu können. "Wäre Clinton ein Idiot", so ein führender Parteimann, könnte man damit leben, daß er die Wahl gewinnt. Nach einer Wahlperiode, so diese Theorie, wäre der Spuk vorüber, und die Wähler würden reumütig zu den Republikanern zurückkehren: "Aber leider ist Clinton kein Idiot."
Sollte Bush seinen Vizepräsidenten Quayle hinauswerfen und rechtzeitig zum Parteitag durch einen attraktiveren Kandidaten ersetzen? Das war eine Woche lang in Washington eine heiß diskutierte Frage. Sie lenkte nur vom eigentlichen Thema ab. "Bush ist das Problem," ließ sich ein Berater des Präsidenten vernehmen - freilich unter dem Versprechen, anonym zu bleiben: "Wir haben schlichtweg keinen Chef."
Für die veröffentlichte Meinung in den USA steht fest, daß der amtierende Präsident nur eine feste Überzeugung hat: Daß er und kein anderer Präsident sein sollte.
Selbst den treuesten unter Bushs Parteigängern ist das nicht mehr genug. Konservative Republikaner verübeln Bush, daß er sein Wahlkampfversprechen gebrochen und die Steuern erhöht hat. Sie verübeln ihm, daß er nicht so klar und entschieden zu den rechten Werten steht wie sein Vorgänger Reagan. Vor allem aber verübeln sie ihm, daß er mehr und mehr aussieht wie ein Verlierer, oder, wie die Washington Post schrieb, wie "Yesterday's Man".
Der Kalte Krieg ist gewonnen, die Sowjetunion ist aufgelöst. Die Welt hat ihre schrecklichen Gewißheiten verloren. Der internationalen Politik fehlt der gewohnte, einfache Kompaß, der sagte: Hier ist West, dort ist Ost, hier Nord, dort Süd.
Viele hoffen, nun sei die Zeit multinationaler Organisationen gekommen, der KSZE, der Uno. Skeptiker lachen darüber, verweisen auf das von Natur aus langsame Entwicklungstempo solcher Organisationen, auf die Schwerfälligkeit internationaler Bürokratien. Doch wenn Uno und KSZE einer Welt im Wandel keinen Halt geben, wer dann?
Die USA? Sie sind und fühlen sich als Sieger des Kalten Krieges. Sie sind die letzte verbliebene Supermacht der Erde. Wenn die Uno mit Saddam Hussein nicht zurecht kommt, wenn die EG unfähig scheint, die blutende Wunde am eigenen Unterleib, in Jugoslawien, zu stillen, wenn der Westen vor der gigantischen Aufgabe erstarrt, der Hinterlassenschaft des Roten Reiches in Rußland und drumherum neue Hoffnung zu geben - immer richten sich die Blicke auf die USA.
Doch die Vereinigten Staaten zeigen sich dem nicht gewachsen, auch sie nicht.
Gegenüber Jugoslawien eierte die Regierung Bush nicht minder als die europäische Staatengemeinschaft. Mal hielten die USA die Europäer zurück - als es galt, Slowenien und Kroatien anzuerkennen -, mal drängten sie die Europäer zu forscherem Handeln, mal drohten sie den Serben mit militärischer Gewalt, dann schreckten sie genau davor wieder zurück.
Auch gegenüber dem Irak leidet die amerikanische Außenpolitik an ihrer eigenen Widersprüchlichkeit. Nach dem Sieg im Golfkrieg erlaubte Präsident Bush dem besiegten Saddam, erneut sein Haupt zu recken. Bush sah teilnahmslos zu, als Saddam Regimegegner hinrichten und wehrlose Kurden bombardieren ließ. Jetzt droht Bush mit einem neuen Krieg, sollte Saddam noch einmal so frech sein, Uno-Inspektoren nicht in ein irakisches Regierungsgebäude hineinzulassen. Jetzt macht die US-Regierung den Kurden-Führern Hoffnung auf Beistand, sollten sie versuchen, Saddam aus dem Sattel zu werfen. Die Kurden täten gut daran, nicht jedes aufmunternde Wort aus Washington für bare Münze zu nehmen. Am Ende sind sie es, die den Kopf hinhalten müssen.
Rußlands Präsident Jelzin bekam in Washington warme Worte zu hören. Dollars sollen folgen, heißt es. Vielleicht stimmt das, vielleicht auch nicht. Was Washington jedenfalls nicht hat, ist eine Vision davon, was aus Rußland und den anderen Erben der Sowjetunion werden könnte. Im Grunde hilflos sieht die letzte Supermacht dem Verfall der vorletzten zu.
Im Nahen Osten versucht US-Außenminister Baker Frieden zu stiften, hier tatsächlich mit Ideen, Zähigkeit und Engagement. Doch wie lange noch? öber Baker hängt das Damoklesschwert der amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Bush braucht Baker als Manager seiner Wiederwahl. Die ist ihm im Zweifel wichtiger als der Friede in Nahost oder das Schicksal der Kurden.
Die USA sind im Wahljahr. Die Richtlinien der Politik decken sich mit den Regeln des Wahlkampfs.
Doch, die USA betreiben noch immer auch Außenpolitik, aber nur soweit und zu dem Zweck, daß es die Wähler im eigenen Lande beeindruckt.
Wer eine neue Weltordnung errichten will, auf dem Fundament der Uno, muß warten, bis die Wahlen in den USA entschieden sind - oder selber Hand anlegen.
Vor zwei Jahren ist der Irak über Kuweit hergefallen, im Glauben, die Weltöffentlichkeit werde die Annektion am Ende tolerieren. Iraks Diktator Saddam Hussein hatte Grund zu diesem Glauben. Hatte nicht der Westen, die USA voran, seine Militärmaschine und damit Saddams Unrechtsregime jahrelang hochgepäppelt? Und hatte nicht die Weltöffentlichkeit jahrzehntelang Dutzenden von Aggressionen tatenlos zugesehen? In Weltgegenden, die entlegen schienen, von Washington und Moskau aus betrachtet.
Saddams doppeltes Pech war: in Kuweit sprudeln ôlquellen, und der Kalte Krieg war gerade zuende gegangen. Die Supermächte blockierten sich nicht mehr gegenseitig, sie suchten die Kooperation.
Der Golfkrieg sollte nicht nur Recht wiederherstellen, er sollte auch ein Exempel sein, der Auftakt zur Errichtung einer neuen Weltordnung. Einer Ordnung, in der die Völkergemeinschaft Aggression über Grenzen hinweg und gegenüber Minderheiten nicht mehr duldet.
Die Welt zahlte einen hohen Preis für dieses Exempel. Zehntausende Soldaten verbluteten im Wüstensand, Dutzende von Mrd Dollar, DM und Yen wurden mobilisiert. Das war mehr Geld, als für alle Katastrophenhilfen zusammen jemals aufgebracht wurde.
Es wurde verpulvert. Zwei Jahre nach der Invasion wartet Saddam nur auf seine neue Chance. Er setzt darauf, daß sich die Hoffnungen auf eine neue Weltordung früher oder später als schöne Illusion entlarven. Er setzt darauf, daß nicht Moral und Vernunft die Welt regieren, sondern Geld und schierer Wille zur Macht. Vielleicht hat er recht.
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April 2020
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